Die Abgrenzung zwischen Raub nach § 249 StGB und räuberischer Erpressung nach §§ 253, 255 StGB ist einer der wichtigsten Klausurklassiker im Strafrecht.

Zusammenfassung des Meinungsstreits

Nach der Rechtsprechung ist § 249 StGB lex specialis zu §§ 253, 255 StGB. Jeder Raub beinhaltet damit automatisch auch eine räuberische Erpressung.

Nach der herrschenden Lehre hingegen stehen Raub und räuberische Erpressung zueinander in einem Exklusivitätsverhältnis. Eine Handlung kann danach immer nur den einen oder den anderen Tatbestand verwirklichen.

Die herrschende Lehre kommt zu diesem Ergebnis, weil sie im Gegensatz zur Rechtsprechung für den Tatbestand der (räuberischen) Erpressung eine Vermögensverfügung fordert. Liegt eine Vermögensverfügung vor, ist ein Raub aber gerade nicht verwirklicht.

Klausurrelevanz

Relevant wird der Streit vor allem bei der räuberischen Erpressung beim Tatbestandsmal der Vermögensverfügung (s. das Prüfungsschema zur räuberischen Erpressung), aber auch beim Raub im Rahmen der Wegnahme (s. das Prüfungsschema zum Raub).

Erfordert der Tatbestand der (räuberischen) Erpressung nach §§ 253, 255 StGB eine Vermögensverfügung?

Rechtsprechung: Keine Vermögensverfügung erforderlich

Nach der Ansicht der Rechtsprechung erfordert der Tatbestand der (räuberischen) Erpressung keine Vermögensverfügung. Raub und räuberische Erpressung schließen sich danach nicht gegenseitig aus, sondern der Raub ist gegenüber der räuberischen Erpressung das speziellere Delikt.1

Die Abgrenzung zwischen Raub und räuberischer Erpressung erfolge nach dem äußeren Erscheinungsbild des vermögensschädigenden Verhaltens.2 Nehme der Täter die Sache an sich, liege eine Wegnahme und somit ein Raub vor. Gebe das Opfer dem Täter hingegen den Gegenstand, sei eine räuberische Erpressung anzunehmen.

Argumente:

  • Der Wortlaut des § 253 StGB verlange keine Vermögensverfügung.
  • Vermeidung von Strafbarkeitslücken in Fällen der Wegnahme mittels vis absoluta ohne Zueignungsabsicht (denn in diesem Fall wäre wegen der vis absoluta nach der h.L. keine räuberische Erpressung gegeben).3
  • Die räuberischen Erpressung sei genau wie der Raub ein Fremdschädigungsdelikt.4 In jedem Raub liege auch eine räuberische Erpressung, denn durch die Wegnahme werde das Opfer mit Raubmitteln zur Duldung der Wegnahme genötigt.5

Herrschende Lehre: Vermögensverfügung erforderlich

Nach der herrschenden Lehre muss sich das Opferverhalten bei der räuberischen Erpressung als eine willentliche Vermögensverfügung darstellen. Raub und räuberische Erpressung stehen danach in einem Exklusivitätsverhältnis, schließen sich also gegenseitig aus.6

Für die Abgrenzung zwischen Raub und räuberischer Erpressung komme es deshalb auf die innere Willensrichtung des Opfers an. Eine Wegnahme und damit ein Raub liege vor, wenn das Opfer davon ausgeht, dass der Verlust der Sache unabhängig von seiner Mitwirkung eintritt. Ist aus Sicht des Opfers aber ein eigener Mitwirkungsakt, also eine Vermögensverfügung, erforderlich, sei eine räuberische Erpressung anzunehmen.7

Argumente:

  • Die Erpressung sei strukturgleich mit dem Betrug nach § 263 StGB, da beide den Eintritt eines Vermögensnachteils und eine entsprechende Bereicherungsabsicht voraussetzen.8
  • Auch beim Betrug folge die Vermögensverfügung nicht aus dem Wortlaut, sei aber als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal anerkannt.9
  • Die Erpressungstatbestände und der Betrug setzten deshalb eine unmittelbare Selbstschädigung voraus und seien von den Fremdschädigungsdelikten wie § 249 StGB abzugrenzen.10
  • Wenn sich jemand sich eine Sache ohne Zueignungsabsicht aneigne, sei es auch nicht angemessen, ihn gleich einem Räuber zu bestrafen.11
  • Die Beurteilung der Wegnahme nach dem äußerlichen Erscheinungsbild sei uneinheitlich mit der Wegnahme im Rahmen des Diebstahls, wo nach der subjektiv empfundenen Wahlfreiheit des Opfers hinsichtlich des Gewahrsamsverlusts abgegrenzt wird.12

Darstellung des Meinungsstreits in der Klausur

In der Klausur solltest Du den Streit zwar erwähnen, die Argumente aber nur darstellen, wenn er sich auf das Ergebnis auswirkt. Ansonsten ist eine Stellungnahme entbehrlich.

Bespiel: Der Täter entreißt dem Opfer eine Sache mit Zueignungsabsicht und unter Anwendung qualifizierter Nötigungsmittel. Nach beiden Ansichten liegt ein Raub vor, denn nach dem äußeren Erscheinungsbild nimmt der Täter die Sache an sich und aus Sicht des Opfers ist kein Mitwirkungsakt erforderlich. Eine Stellungnahme ist entbehrlich.

Wie bei den meisten rechtlichen Meinungsstreits solltest Du im zweiten Staatsexamen auch diesen Streit in der Regel weniger ausführlich darstellen als im ersten Examen und – wie im zweiten Examen immer – der Rechtsprechung folgen.

Prüfungsreihenfolge: Fange mit dem Raub an

Du solltest die Prüfung mit § 249 StGB beginnen. Ist eine Strafbarkeit nach § 249 StGB gegeben, musst Du die räuberische Erpressung nicht mehr prüfen. Denn nach der Rechtsprechung hast Du dann die lex specialis schon bejaht und nach der Literatur schließt eine Strafbarkeit nach § 249 StGB die §§ 253, 255 StGB mangels Vermögensverfügung von vornherein aus.13

Schlusswort

Ich hoffe, Du fandest diese Streitzusammenfassung zur Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung hilfreich. Wenn Du Verbesserungsvorschläge hast, lass es mich gerne wissen! Ich bin immer bemüht, die Inhalte auf Juratopia weiter zu verbessern.

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Quellennachweise:

  1. ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BGH, Urt. v. 05.07.1960, Az.: 5 StR 80/60.
  2. BGH, Beschl. v. 02.12.2010, Az.: 4 StR 476/10.
  3. zu diesem kriminalpolitischen Hintergrund z.B. Hemmer/Wüst/Berberich, Strafrecht BT I, 14. Auflage 2020, Rn. 202.
  4. vgl. hierzu Rönnau, Grundwissen – Strafrecht: Abgrenzung von Raub und räuberischer (Sach-)Erpressung, JuS 2012, 888, 889.
  5. BGH, Urt. v. 05.07.1960, Az.: 5 StR 80/60.
  6. vgl. die Übersicht in Leipold/Tsambikakis/Zöller, AnwaltKommentar StGB, 3. Auflage 2020, Vorbemerkung zu §§ 249-256 StGB, Rn. 5.
  7. vgl. Schönke/Schröder StGB, 30. Auflage 2019, § 249 Rn. 2.
  8. vgl. u.a. Schönke/Schröder StGB, 30. Auflage 2019, § 253 Rn. 8; Rengier JuS 81, 654.
  9. vgl. hierzu Rönnau, JuS 2012, 888, 890.
  10. Schönke/Schröder StGB, 30. Auflage 2019, § 253 Rn. 1.
  11. Dies in ihrer Argumentation voraussetzend: Schönke/Schröder StGB, 30. Auflage 2019, § 253 Rn. 8a.
  12. vgl. hierzu Rönnau, JuS 2012, 888, 890.
  13. dazu auch Rönnau, JuS 2012, 888, 891.

Artikel verfasst von: 

Lucas Kleinschmitt

Lucas ist Volljurist und Gründer von Juratopia.

Nach Studium an der Bucerius Law School und Referendariat in Hamburg hat er einige Jahre als Anwalt in der Großkanzlei und als Syndikus in einem DAX-Konzern gearbeitet. Heute ist er General Counsel in einem IoT Startup.

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