In diesem Beitrag erkläre ich Dir, was der Begriff „Superrevisionsinstanz“ bedeutet, warum das Bundesverfassungsgericht keine ist und wie Du das Thema in der Klausurbearbeitung adressierst.

Der Begriff Superrevisionsinstanz meint eine Instanz, welche inhaltlich eine zweite Revisionsinstanz wäre, also dieselbe rechtliche Prüfung durchführt wie die Revisionsinstanz, jedoch im Instanzenzug über ihr steht. Eine solche Superrevisionsinstanz gibt es in Deutschland nicht.

Weil das Bundesverfassungsgericht keine Superrevisionsinstanz ist, prüft es bei der Urteilsverfassungsbeschwerde nur die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts und nicht die Richtigkeit des Urteils insgesamt. In der Klausur musst Du das Thema ansprechen, wenn Du eine Urteilsverfassungsbeschwerde zu prüfen hast.

Der Instanzenzug in Deutschland

In Deutschland ist der Instanzenzug der meisten Gerichtszweige dreistufig.1

Abgesehen von einigen Ausnahmefällen kann dabei ein erstinstanzliches Urteil mit der Berufung und ein Berufungsurteil mit der Revision angegriffen werden.

Die Revision zeichnet sich dadurch aus, dass neuer Tatsachenvortrag grundsätzlich nicht mehr zulässig ist. Das bedeutet, dass das Revisionsgericht an den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt gebunden ist und nur noch überprüft, ob der Sachverhalt rechtlich zutreffend gewürdigt wurde (vgl. §§ 137 VwGO, 337 StPO, 545 ZPO).2

Mit dem Revisionsurteil ist der Instanzenzug abgeschlossen, da weitere Rechtsmittel nicht vorgesehen sind. Eine Superrevision, also eine Revision über der Revision, kennen die Verfahrensordnungen nicht. Revisionsurteile werden deshalb auch bereits mit Verkündung rechtskräftig.

Das Bundesverfassungsgericht als Superrevisionsinstanz?

Trotzdem hat es mit dem Revisionsurteil nicht immer sein Bewenden. Denn „jedermann“ kann – verfassungsrechtlich durch Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG garantiert – vor dem Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde mit der Behauptung erheben, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte verletzt zu sein.

Tauglicher Beschwerdegegenstand der Verfassungsbeschwerde sind damit alle Handlungsformen aller drei Gewalten, also auch und gerade Urteile ( sog. Urteilsverfassungsbeschwerde).3

Die Rechtsprechung ist gem. Art. 1 Abs. 3 GG auch an die Grundrechte gebunden. Doch wann verletzt ein Urteil die Grundrechte des Beschwerdeführers?

Das „Elfes-Urteil“

Im sogenannten Elfes-Urteil4 hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass Art. 2 Abs. 1 GG ein selbstständiges Grundrecht beinhaltet, das die allgemeine menschliche Handlungsfreiheit gewährleistet.

Gleichzeitig hat das BVerfG entschieden, dass zur Grundrechtsschranke der „verfassungsmäßigen Ordnung“ jede formell und materiell verfassungsgemäße Rechtsnorm gehört. Das hat auch für (einfachgerichtliche) Urteile die folgenden Konsequenzen:

  • Jedes streitige Urteil greift in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit des Beschwerten ein.
  • Beruht das Urteil nicht auf einer verfassungsgemäßen Rechtsnorm, etwa weil es eine solche nicht gibt oder weil sie nicht richtig angewendet wurde, ist der Grundrechtseingriff durch das Urteil nicht gerechtfertigt und zumindest das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt.5

Danach ist also jedes falsche Urteil eine Grundrechtsverletzung, die deshalb mit der Verfassungsbeschwerde gerügt und beseitigt werden kann.

Das Problem liegt auf der Hand: Jedes letztinstanzliche Urteil, das auf einer unzutreffenden rechtlichen Würdigung beruht, könnte mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden. Das Bundesverfassungsgericht wäre faktisch eine Superrevisionsinstanz. Dafür ist es aber weder vorgesehen, noch lassen seine Kapazitäten eine derart weite Zuständigkeit zu.

Eingrenzung der Verfassungsbeschwerde

Um diesem Problem Herr zu werden, hat das BVerfG von jeher betont, nur zur Prüfung der Verletzung „spezifischen Verfassungsrechts“ berufen zu sein.6 Diesen Begriff konkretisiert das BVerfG (Beschluss des Ersten Senats vom 10. Juni 1964 – 1 BvR 37/63 –) wie folgt:

Spezifisches Verfassungsrecht ist aber nicht schon dann verletzt, wenn eine Entscheidung, am einfachen Recht gemessen, objektiv fehlerhaft ist; der Fehler muss gerade in der Nichtbeachtung von Grundrechten liegen.

Weiter heißt es in der „Mephisto-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts:7

Jedoch hat das BVerfG zu prüfen, ob die angefochtenen Entscheidungen der Gerichte bei der Anwendung bürgerlich-rechtlicher Normen auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Grundrechte beruhen, deren Verletzung die Beschwerdeführerin gerügt hat, oder ob das Auslegungsergebnis selbst die geltend gemachten Grundrechte verletzt.

Das BVerfG passt also seinen Prüfungsmaßstab an. Einfache Subsumtions- und Auslegungsfehler werden nicht geprüft, sondern nur solche, die auf eine fehlende bzw. falsche Würdigung der Grundrechte zurückzuführen sind. Die wichtigsten Fälle sind hierbei:8

  • Nichterkennen eines Grundrechts: Das Gericht übersieht ein Grundrecht völlig, das bei der Auslegung einer bestimmten Norm zu berücksichtigen wäre.
  • Verkennen eines Grundrechts: Die Auslegung beruht auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Grundrechte, insbesondere vom Umfang ihres Schutzbereichs.9
  • Willkür (in Anlehnung an Art. 3 Abs. 1 GG): Das Urteil ist schlechthin unverständlich und beruht offensichtlich auf sachfremden Erwägungen.
  • Unzulässige richterliche Rechtsfortbildung: Das Gericht hat sich über Recht und Gesetz hinweggesetzt und sich „aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben“.10
  • Grundrechtsverstöße durch das gerichtliche Verfahren, insbesondere die Verletzung rechtlichen Gehörs gem. Art. 103 Abs. 1 GG.

Diese Abgrenzung ermöglicht es dem BVerfG, sich auf die ihn zugewiesene Rolle als Hüter der Verfassung zu beschränken. Andererseits, so kritische Stimmen, seien die Abgrenzungskriterien unscharf genug, um dem BVerfG einen gewissen Spielraum zu überlassen, innerhalb dessen es auch aus Opportunitäts- oder Gerechtigkeitserwägungen eine bestimmte Entscheidung treffen und insoweit letztlich doch als verdeckte Superrevisionsinstanz tätig werden kann.11

Die Superrevisionsinstanz in der Klausur

In der Klausur stellt sich das Problem der „Superrevisionsinstanz“ immer dann, wenn eine Urteilsverfassungsbeschwerde zu prüfen ist.

Es bietet sich an, die Thematik gleich zu Beginn der Begründetheitsprüfung unter dem Obersatz anzusprechen und den Leser mit ein paar Sätzen zum eingeschränkten Prüfungsmaßstab hinzuführen.

Zu beachten und klarzustellen ist dabei, dass der eingeschränkte Prüfungsmaßstab nur dann gilt, soweit die Gesetzesanwendung des Gerichts geprüft wird. Ist möglicherweise das Gesetz selbst, auf dem die Entscheidung beruht, verfassungswidrig, ist dessen Verfassungsmäßigkeit nach allgemeinen Maßstäben zu prüfen.

In der später erfolgenden Prüfung der konkreten Grundrechtsverletzungen führst Du natürlich letztlich eine normale Grundrechtsprüfung durch. Weichst Du hier von der Auffassung des angegriffenen Gerichts ab und willst Du der Verfassungsbeschwerde stattgeben, solltest aber in jedem Fall noch begründen, warum das Urteil gerade wegen der Verletzung spezifischen Verfassungsrechts aufzuheben ist.

Schlusswort

Ich hoffe, Du fandest diesen Beitrag zur Superrevisionsinstanz hilfreich. Wenn Du Verbesserungsvorschläge hast, lass es mich gerne wissen! Ich bin immer bemüht, die Inhalte auf Juratopia weiter zu verbessern.

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Quellennachweise:

  1. In einigen Fällen ist der Instanzenzug auch zweistufig, z. B. in der gesamten Finanzgerichtsbarkeit, § 2 FGO, oder der Strafgerichtsbarkeit, wenn das erstinstanzliche Urteil vom Landgericht stammt (§§ 121, 135 GVG.
  2. Etwas anderes kann gelten, wenn die Tatsachenfeststellungen ihrerseits revisionsrechtlich zu beanstanden sind.
  3. Vgl. Maunz/Dürig GG, 92. EL 2020, Art. 93 Rn. 341.
  4. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 16. Januar 1957 – 1 BvR 253/56.
  5. Vgl. Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 11. Auflage 2018, Rn. 284.
  6. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 16. Januar 1957 – 1 BvR 253/56 -, Rn. 34; Beschluss des Ersten Senats vom 18. September 1952- 1 BvR 612/52.
  7. Beschluss des Ersten Senats vom 24. Februar 1971 – 1 BvR 435/68
  8. Vgl. Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 11. Auflage 2018, Rn. 294 ff.
  9. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 18. Februar 2019 – 1 BvR 2556/17.
  10. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 6. Mai 1997 – 1 BvR 409/90.
  11. Vgl. Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 11. Auflage 2018, Rn. 284.

Artikel verfasst von: 

Lucas Kleinschmitt

Lucas ist Volljurist und Gründer von Juratopia.

Nach Studium an der Bucerius Law School und Referendariat in Hamburg hat er einige Jahre als Anwalt in der Großkanzlei und als Syndikus in einem DAX-Konzern gearbeitet. Heute ist er General Counsel in einem IoT Startup.

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