Die Vollstreckungsgegenklage (auch Vollstreckungsabwehrklage genannt) ist in § 767 ZPO geregelt. Da der Gerichtsvollzieher bei der Zwangsvollstreckung den Bestand des Anspruchs als solchen nicht prüft, muss der Schuldner die Möglichkeit haben, sich gerichtlich dagegen zu wehren. Die Vollstreckungsgegenklage ist immer dann anwendbar, wenn der Vollstreckungsschuldner materiell-rechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch hat.

Die Vollstreckungsgegenklage ist eine prozessuale Gestaltungsklage1, die nicht den Titel selbst, sondern nur dessen Vollstreckbarkeit beseitigt. Bei einer erfolgreichen Klage erklärt das Gericht die Zwangsvollstreckung aus einem bestimmten Titel für unzulässig.

Im Folgenden zeige ich Dir zuerst ein Prüfungsschema zur Vollstreckungsgegenklage. Darunter findest Du dann eine Zusammenfassung zur Vollstreckungsgegenklage mit Erläuterungen und Klausurproblemen.

Prüfungsschema zur Vollstreckungsgegenklage:

I. Zulässigkeit

1. Statthaftigkeit

2. Zuständigkeit des Gerichts

3. Ordnungsgemäße Klageerhebung

4. Rechtsschutzbedürfnis

II. Begründetheit

1. Sachbefugnis

2. Bestehen der materiell-rechtlichen Einwendung

3. Keine Präklusion nach § 767 Abs. 2 ZPO

4. Keine Präklusion nach § 767 Abs. 3 ZPO

Zusammenfassung zur Vollstreckungsgegenklage mit Erläuterungen und Klausurproblemen:

I. Zulässigkeit

1. Statthaftigkeit

Die Vollstreckungsgegenklage ist immer dann statthaft, wenn der Vollstreckungsschuldner materiell-rechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch als solchen geltend macht.

In der Klausur solltest Du hier die materiellen Einwände des Klägers kurz benennen. Ob die Einwendungen tatsächlich bestehen, ist dann aber eine Frage der Begründetheit. Mögliche Einwendungen sind etwa:

  • Rechtsvernichtende Einwendungen wie Erfüllung, Aufrechnung, Erlass oder Verzicht.2
  • Verlust der Sachlegitimation, z.B. durch Abtretung. Der Zedent bleibt aber sachlich legitimiert, wenn der Zessionar ihm eine Einziehungsermächtigung erteilt hat.3
  • Rechtshemmende Einwendungen wie Verjährung4 oder die Einrede des nichterfüllten Vertrages. Dann muss der Klageantrag so formuliert sein, dass die Vollstreckung nur Zug um Zug gegen die entsprechende Leistung zulässig ist.5
  • Rechtshindernde Einwendungen kommen nicht in Betracht, da die Einwendung nach § 767 Abs. 2 ZPO nach der mündlichen Verhandlung entstanden sein muss.  

Abgrenzung zu anderen Rechtsbehelfen:

  • Vollstreckungserinnerung, § 766 ZPO: Mit der Vollstreckungserinnerung können Verfahrensfehler bei der Zwangsvollstreckung geltend gemacht werden, also zum Beispiel das Fehlen einer formellen Voraussetzung der Zwangsvollstreckung (Titel, Klausel, Zustellung).6
  • Titelgegenklage analog § 767 ZPO: Mit der Titelgegenklage (früher prozessuale Gestaltungsklage sui generis) kann der Schuldner die Unwirksamkeit des Titels geltend machen, zum Beispiel, weil dieser zu unbestimmt ist.7
  • Drittwiderspruchsklage, § 771 ZPO: Die Drittwiderspruchsklage wird nicht vom Schuldner, sondern von einem außerhalb des Vollstreckungsverfahrens stehenden Dritten betrieben und richtet sich gegen die Vollstreckung in einen bestimmten Gegenstand.8

Die Vollstreckungsgegenklage kann nach § 795 S. 1 ZPO nicht nur bei Urteilen, sondern auch bei anderen Titeln i.S.v. § 794 ZPO erhoben werden. In den Klausuren kommen die folgenden Titel am häufigsten vor:

  • Prozessvergleich, § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO
  • Kostenfestsetzungsbeschluss, § 794 Abs. 1 Nr. 2 ZPO
  • Notarielle Urkunde mit Unterwerfungserklärung, § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO

2. Zuständigkeit des Gerichts

Zuständig für die Vollstreckungsgegenklage ist bei Urteilen nach § 767 Abs. 1 ZPO das Prozessgericht des ersten Rechtszuges. Das ist das Gericht erster Instanz, das den Titel geschaffen hat9. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit des Prozessgerichts erster Instanz ist im Sinne von § 802 ZPO ausschließlich.

Für Prozessvergleiche gilt auch das Prinzip des § 767 Abs. 1 ZPO: Zuständig ist das Gericht, bei dem in erster Instanz der Vergleich geschlossen worden ist.10

Wenn der Kläger sich gegen einen anderen Titel als ein Urteil oder einen Prozessvergleich  wendet, richtet sich die Zuständigkeit nach anderen Vorschriften:

  • Bei einem Vollstreckungsbescheid ist nach § 796 Abs. 3 ZPO das Gericht zuständig, das für das Streitverfahren zuständig gewesen wäre.
  • Bei notariellen Urkunden gilt § 797 Abs. 5 ZPO. Danach ist der allgemeine Gerichtsstand des Schuldners maßgeblich.

3. Ordnungsgemäße Klageerhebung

Die Klage muss auch ordnungsgemäß erhoben worden sein. Insbesondere ist ein bestimmter Klageantrag nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO erforderlich. Auf die Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Klage solltest Du in der Klausur aber nur eingehen, wenn es hier Probleme gibt.

4. Rechtsschutzbedürfnis

Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis besteht grundsätzlich, sobald ein Vollstreckungstitel vorhanden ist. Nicht erforderlich ist, dass bereits eine Vollstreckungsklausel erteilt wurde.11

Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt u.a.

  • wenn die Zwangsvollstreckung vollständig beendet ist, d.h. die Sache verwertet und der Erlös an den Gläubiger ausgekehrt wurde12 und der Gläubiger den Titel an den Schuldner ausgehändigt hat oder aus anderen Gründen daraus nicht mehr vollstrecken kann13,
  • wenn der Kläger schon Berufung eingelegt hat und den sonst mit der Vollstreckungsabwehrklage zu verfolgenden Einwand in der Berufung geltend machen kann  (nicht aber, wenn er nur Berufung einlegen könnte)14 oder
  • wenn dem Kläger sonst ein einfacherer und billigerer Weg zur Verfolgung seines Klageziels zur Verfügung steht15. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn der Kläger auch eine Klausel- oder Vollstreckungserinnerung einlegen kann, um die Vollstreckbarkeit des Titels zu beseitigen.16

II. Begründetheit

1. Sachbefugnis

Die Sachbefugnis entspricht der Prozessführungsbefugnis. Nach h.M. ist sie bei § 767 ZPO in der Begründetheit zu prüfen17

Sachbefugt sind die Parteien, die im Titel aufgeführt sind: Kläger ist der Zwangsvollstreckungsschuldner und Beklagter der im Titel genannte Gläubiger des Anspruchs.18

2. Bestehen der materiell-rechtlichen Einwendung

In der Klausur musst Du hier prüfen, ob die jeweilige Einwendung (Aufrechnung, Erfüllung, Erlass etc.) tatsächlich auch besteht.

3. Keine Präklusion nach § 767 Abs. 2 ZPO

Nach § 767 Abs. 2 ZPO können nur Einwendungen berücksichtigt werden, die erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung entstanden sind und nicht mehr durch Einspruch geltend gemacht werden können. Einwendungen, die bereits im Erkenntnisverfahren hätten vorgetragen werden können, sind damit im Rahmen von § 767 ZPO ausgeschlossen.

P: Präklusion bei Gestaltungsrechten (z.B. Anfechtung, Rücktritt, Kündigung)

  • Nach der Rechtsprechung kommt es auf die objektive Möglichkeit der Ausübung des Gestaltungsrechts an.19
  • Die wohl h.L. stellt hingegen auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Ausübung des Gestaltungsrechts ab.20

Der Zweck der Präklusion besteht darin, die Rechtskraft des Vollstreckungstitels zu schützen. Dies betrifft vor allem Urteile und Vollstreckungsbescheide. § 767 Abs. 2 ZPO gilt deshalb nicht bei Titeln, die nicht der Rechtskraft fähig sind:

  • Für notarielle Urkunden bestimmt § 797 Abs. 4 ZPO ausdrücklich, dass § 767 Abs. 2 ZPO nicht anwendbar ist.
  • Auch bei Prozessvergleichen findet § 767 Abs. 2 ZPO keine Anwendung.21
  • Bei Kostenfestsetzungsbeschlüssen gibt es ebenfalls keine Präklusion, weil materielle Einwendungen im Kostenfestsetzungsverfahren nicht geltend gemacht werden können.22

4. Keine Präklusion nach § 767 Abs. 3 ZPO

§ 767 Abs. 3 ZPO betrifft die wiederholte Vollstreckungsgegenklage. Der Vollstreckungsschuldner soll alle Einwendungen gegen den titulierten Anspruch, die er geltend machen kann, im ersten Verfahren bündeln. Bei einer neuen Vollstreckungsabwehrklage wäre er mit den im ersten Verfahren versäumten Einwendungen präkludiert.23     

Achtung:

  • In vielen Klausuren zu § 767 ZPO verlangt der Kläger neben der Unzulässigerklärung der Zwangsvollstreckung auch die Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung. Das ist analog § 371 BGB möglich und muss dann auch durchgeprüft werden. In der Anwaltsklausur solltest Du ggf. selbst auch an diesen Herausgabeanspruch denken.
  • Die Vollstreckungsabwehrklage hat nicht automatisch aufschiebende Wirkung. Dazu muss zusätzlich ein Antrag nach § 769 ZPO gestellt werden (ebenfalls wichtig für Anwaltsklausuren).

Schlusswort

Ich hoffe, Du fandest diesen Überblick zur Vollstreckungsgegenklage hilfreich. Wenn Du Verbesserungsvorschläge hast, lass es mich gerne wissen! Ich bin immer bemüht, die Inhalte auf Juratopia weiter zu verbessern.

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Quellennachweise:

  1. BGH, Urteil vom 24.10.1956, Az.: V ZR 127/55.
  2. vgl. BeckOK ZPO/Preuß ZPO, § 767 ZPO Rn. 17f.
  3. vgl. BGH, Urteil vom 19.10.2000, Az.: IX ZR 255/99.
  4. BGH, Urteil vom 5.11.1998, Az. IX ZR 48/98.
  5. BGH, Urteil vom 14.5.1992, Az.: VII ZR 204/90.
  6. BeckOK ZPO/Preuß ZPO, 38. Auflage, § 766 Rn. 7.
  7. BGH, Urteil vom 19.12.2014, Az.: V ZR 82/13.
  8. Musielak/Voit/Lackmann ZPO, 17. Auflage 2020, § 771 ZPO Rn. 2.
  9. BGH, Beschluss vom 17.10.1979, Az.: IV ARZ 42/79.
  10. BGH, Beschluß vom 17. 10. 1979 – IV ARZ 42/79.
  11. vgl. BGH, Urteil vom 7.5.1992, Az.: IX ZR 175/91.
  12. vgl. BGH, Urteil vom 2.10.1990, Az.: XI ZR 306/89.
  13. BGH, Urteil vom 16.6.1992, Az.: XI ZR 166/91.
  14. Musilak Voit ZPO, 17. Auflage 2020 Rn. 12; BAG, Urt. v. 21.3.2018 – 10 AZR 560/16; BAG, Beschluß vom 28.03.1985 – 2 AZR 548/83.
  15. BGH, Urteil vom 22.6.1977, Az.: VIII ZR 5/76.
  16. vgl. Musielak/Voit/Lackmann, ZPO, 17. Auflage 2020, § 767 ZPO Rn. 19.
  17. vgl. BGH, Urteil vom 9.12.1992, Az. VIII ZR 218/9.
  18. BGH, Urteil vom 3.11.2015, Az. II ZR 446/13.
  19. vgl. BGH, Urteil vom 7.7.2005, Az.: VII ZR 351/03.
  20. dazu und mit ausführlicher Stellungnahme MüKo BGB, 6. Auflage 2020, 85.
  21. vgl. BGH, Beschluss vom 14.5.1987, Az.: BLw 5/86.
  22. vgl. BGH, Urteil vom 15.11.1951, Az.: IV ZR 72/51.
  23. vgl. BGH, Urteil vom 28.5.1991, Az.: IX ZR 181/90.

Artikel verfasst von: 

Lucas Kleinschmitt

Lucas ist Volljurist und Gründer von Juratopia. Nach Studium an der Bucerius Law School und Referendariat in Hamburg hat er einige Jahre als Anwalt in der Großkanzlei und als Syndikus in einem DAX-Konzern gearbeitet. Heute ist er General Counsel in einem IoT Startup.

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