In diesem Beitrag zeige ich dir zuerst ein Prüfungsschema zur Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB. Darunter findest du dann eine Zusammenfassung zu § 216 StGB mit den wichtigsten Definitionen und Klausurproblemen.

Prüfungsschema zur Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB

A. Tatbestand

I. Objektiver Tatbestand

1. Tötung eines anderen Menschen

2. Ausdrückliches und ernstliches Verlangen

a) Verlangen

b) Ausdrücklich

c) Ernstlich

3. Bestimmung zur Tötung

4. Abgrenzung zur straflosen Suizidteilnahme / Tatherrschaft

II. Subjektiver Tatbestand: Vorsatz

B. Rechtswidrigkeit

C. Schuld

Zusammenfassung zu § 216 StGB mit Definitionen und Klausurproblemen

A. Tatbestand

I. Objektiver Tatbestand

1. Tötung eines anderen Menschen

Es müssen alle objektiven Voraussetzungen des § 212 StGB vorliegen, d.h. der Täter muss einen anderen Menschen getötet haben. Siehe dazu Prüfungsschema und Zusammenfassung zum Totschlag nach § 212 StGB.

2. Ausdrückliches und ernstliches Verlangen

Das Opfer muss seine Tötung ausdrücklich und ernsthaft verlangt haben.

a) Verlangen

Das Verlangen setzt dabei mehr als ein bloßes Einverständnis des Getöteten voraus. Über das Erdulden der Tötung hinaus muss der Getötete auf den Willen des Täters eingewirkt haben.1

Die Initiative muss aber nicht zwingend vom Getöteten ausgegangen sein; es genügt ein „Bestimmen“ im Sinne von § 26 StGB.2

Adressat des Verlangens muss nicht der konkrete Täter sein, grundsätzlich können auch Aufforderungen an die Allgemeinheit genügen.3

Auch ein Verlangen unter Bedingungen ist möglich, etwa das Verlangen, nur bei Misslingen eines Suizids aktiv nachzuhelfen.4

b) Ausdrücklich

Das Verlangen ist ausdrücklich, wenn es in eindeutiger, nicht misszuverstehender Weise gestellt worden ist.5

Das muss nicht zwingend durch eine in Worten formulierte Aufforderung geschehen. Möglich sind auch

  • Gesten6 oder
  • Fragen („Würdest du mir helfen, die Spritze zu geben, wenn ich es nicht kann?“)7

c) Ernstlich

Enrstlich ist das Verlangen, wenn es von freiem Willen getragen und zielbewusst auf die Tötung gerichtet ist.8

Nicht von freiem Willen getragen ist das Verlangen bei einem Mangel der natürlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Lebensmüden9, z.B. wegen Alter, Krankheit oder Alkoholeinfluss10, oder wenn das Verlangen durch Zwang, Drohung oder arglistige Täuschung hervorgerufen wurde.11

Ein Verlangen in depressiver Augenblicksstimmung ist jedenfalls dann nicht ernstlich, wenn es nicht von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen wird.12

3. Bestimmung zur Tötung

Der Täter muss durch das Verlangen zur Tötung bestimmt worden sein. Das heißt, das Verlangen muss sein handlungsleitendes Tatmotiv gewesen sein. 13

Die Bestimmung zur Tötung fehlt danach insbesondere, wenn

  • der Täter schon vorher zur Tötung entschlossen war („omnimodo facturus“)14 oder
  • der Täter durch andere Umstände zur Tat verleitet wurde.15 Solange das Tötungsverlangen handlungsleitend war, muss es aber nicht das einzige Tatmotiv gewesen sein.16

4. Abgrenzung zur straflosen Suizidteilnahme / Tatherrschaft

Ein wichtiges Klausurproblem stellt sich bei der Abgrenzung der Tötung auf Verlangen von der straflosen Beihilfe zur Selbsttötung.

  • Rechtsprechung: Entscheidend ist, wer das zum Tode führende Geschehen als Täter beherrscht hat. Dies richtet sich nach dem Gesamtplan der Tatbeteiligten. Gab sich der Tote in die Hand des anderen, weil er duldend von ihm den Tod entgegennehmen wollte, dann hatte jener die Tatherrschaft.17
  • Literatur: Die Lehre stellt auch zu großem Teil auf Kriterien der Tatherrschaft ab. Allerdings wird die Tatherrschaft teilweise weniger in einer Gesamtbetrachtung bestimmt, sondern gefragt, ob der Getötete sich im „point of no return“ dem Tod noch selbst hätte entziehen können.18

Beide Ansichten führen häufig zum selben Ergebnis. Zu verschiedenen Ergebnissen kommen sie z.B. im berühmten vom BGH entschiedenen „Gisela-Fall“.19

Dort wollten sich der Angeklagte und seine verbotene Liebe Gisela gemeinsam das Leben nehmen. Zu diesem Zweck schlossen sie sich bei laufendem Motor in einem Auto ein und leiteten die Abgase vom Auspuff ins Wageninnere. Dabei behielt der Angeklagte gemäß dem gemeinsamen Tatplan den Fuß auf dem Gaspedal. Am nächsten Morgen wurden beide bewusstlos im Wagen gefunden. Gisela verstarb kurz darauf, der Angeklagte überlebte.

Der BGH gelangt hier zur Strafbarkeit des Angeklagten, weil dieser nach dem gemeinsamen Tatplan den Fuß auf dem Gaspedal hatte und daher die Tatherrschaft innegehabt habe. Die eben dargestellte Literaturansicht würde eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 216 StGB verneinen, weil Gisela sich dem Tod im point of no return, also direkt vor den Eintritt der Bewusstlosigkeit, noch selbst hätte entziehen können.20

II. Subjektiver Tatbestand: Vorsatz

Erforderlich ist mindestens bedingter Vorsatz in Bezug auf die Tötung und auf das ausdrückliche und ernsthafte Verlangen.21

Wenn der Täter ein solches Verlangen irrtümlich annimmt, gilt nach § 16 Abs. 2 StGB ebenfalls § 216 StGB (und nicht etwa § 212 StGB). 22

B. Rechtswidrigkeit

Grundsätzlich gelten die allgemeinen Regeln.

Allerdings kommt eine rechtfertigende Einwilligung natürlich nicht in Betracht, da nach § 216 StGB ja selbst ein ausdrückliches Verlangen nur strafmildernde Wirkung hat (indem es zur Anwendbarkeit von § 216 StGB anstelle von § 212 StGB führt).

C. Schuld

Allgemeine Entschuldigungsgründe.

D. Konkurrenzen

§ 216 StGB stellt im Verhältnis zum Mord nach § 211 StGB bzw. Totschlag nach § 212 StGB einen selbstständigen Tatbestand dar.23

Man könnte auf den Gedanken kommen, beim Vorliegen von Mordmerkmalen § 211 StGB in Tateinheit mit § 216 StGB anzuwenden. Nach h.M. sperrt § 216 StGB jedoch den § 211 StGB.24

Schlusswort

Ich hoffe, Du fandest dieses Prüfungsschema zur Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB hilfreich. Wenn Du Verbesserungsvorschläge hast, lass es mich gerne wissen! Ich bin immer bemüht, die Inhalte auf Juratopia weiter zu verbessern.

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Quellennachweise:

  1. BGH, Urteil vom 22.04.2005, Az.: 2 StR 310/04.
  2. Schönke/Schröder StGB, 30. Auflage 2019, § 216 StGB Rn. 5.
  3. Schönke/Schröder StGB, 30. Auflage 2019, § 216 StGB Rn. 6.
  4. BGH, Beschluss vom 25.11.1986, Az.: 1 StR 613/86.
  5. Schönke/Schröder StGB, 30. Auflage 2019, § 216 StGB Rn. 7.
  6. AG Berlin-Tiergarten, Urteil vom 13.09.2005, Az.: (237) 1 Kap Js 2655/04 Ls (19/05).
  7. BGH, Beschluss vom 25.11.1986, Az.: 1 StR 613/86.
  8. BeckOK StGB, 50. Edition Stand 01.05.2021, § 216 Rn. 11.
  9. BGH, Urteil vom 07.10.2010, Az.: 3 StR 168/10.
  10. BGH, Urteil vom 22.01.1981, Az.: 4 StR 480/80; Schönke/Schröder StGB, 30. Auflage 2019, § 216 StGB Rn. 8.
  11. BGH, Urteil vom 07.10.2010, Az.: 3 StR 168/10.
  12. BGH, Urteil vom 07.10.2010, Az.: 3 StR 168/10.
  13. BGH, Urteil vom 22.04.2005, Az.: 2 StR 310/04.
  14. RG, Urteil vom 17.09.1934, Az.: 2 D 839/33.
  15. Schönke/Schröder StGB, 30. Auflage 2019, § 216 StGB Rn. 9.
  16. BGH, Urteil vom 22.04.2005, Az.: 2 StR 310/04.
  17. BGH, Urteil vom 14.08.1963, Az.: 2 StR 181/63.
  18. ausführlich zu dieser von Roxin begründeten Ansicht Schneider, in MüKo StGB, 4. Auflage 2021, § 216 Rn. 39 ff.
  19. BGH, Urteil vom 14.08.1963, Az.: 2 StR 181/63.
  20. Instruktiv Schneider, in MüKo StGB, 4. Auflage 2021, § 216 Rn. 41.
  21. Schönke/Schröder StGB, 30. Auflage 2019, § 216 StGB Rn. 13.
  22. BGH, Urteil vom 07.07.2011, Az.: 5 StR 561/10.
  23. BGH, Urteil vom 07.02.1952, Az.: 3 StR 1095/51.
  24. Schneider, in MüKo StGB, 4. Auflage 2021, § 216 Rn. 72.

Artikel verfasst von: 

Lucas Kleinschmitt

Lucas ist Volljurist und Gründer von Juratopia.

Nach Studium an der Bucerius Law School und Referendariat in Hamburg hat er einige Jahre als Anwalt in der Großkanzlei und als Syndikus in einem DAX-Konzern gearbeitet. Heute ist er General Counsel in einem IoT Startup.

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