Inwieweit eine sukzessive Mittäterschaft zur Zurechnung nach § 25 Abs. 2 StGB führt, ist umstritten und ein Standardproblem bei der Prüfung der Mittäterschaft. In diesem Artikel zeigen wir dir, was man unter sukzessiver Mittäterschaft versteht, die zeitlichen und sachlichen Grenzen sowie die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der sukzessiven Mittäterschaft.

Was ist sukzessive Mittäterschaft?

Sukzessive Mittäterschaft liegt vor, wenn ein Täter mit der Ausführung der Tat schon begonnen hat und anschließend ein anderer dazutritt, so dass beide mit wechselseitiger Zustimmung gemeinsam weiterhandeln.1 Der Begriff sukzessiv stammt vom lateinischen „succedere“ und bedeutet „nachrücken“ bzw. „nachfolgen“.

Rechtsfolgen der sukzessiven Mittäterschaft

Für den zunächst allein Handelnden hat die sukzessive Mittäterschaft zur Folge, dass ihm die Beiträge des Hinzutretenden nach § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden.

Für den Hinzutretenden ergibt sich eine rückwirkende Zurechnung („ex tunc“). Was vor seinem Eintritt geschah, wird ihm aufgrund seiner Billigung durch das Hinzutreten angelastet.

Zeitliche Grenzen

Wegen dieser weitreichenden Zurechnung hat der Zeitpunkt, bis zu dem sukzessive Mittäterschaft möglich ist, entscheidenden Einfluss auf die Strafbarkeit der Beteiligten.

Unproblematische Fallgruppen

Einigkeit besteht in Folgendem:2

  • Stets möglich ist sukzessive Mittäterschaft, wenn das Delikt erst versucht ist.
  • Ebenfalls möglich ist sukzessive Mittäterschaft bei Dauerdelikten, die der Hinzutretende aufrechterhält und so den Erfolg noch vertieft. (Beispiele: Hausfriedensbruch, § 123 StGB; Freiheitsberaubung, § 239 StGB)
  • Ausgeschlossen ist sukzessive Mittäterschaft, wenn das Delikt bereits beendet ist.

Sukzessive Mittäterschaft zwischen Vollendung und Beendigung

Umstritten hingegen ist, ob sukzessive Mittäterschaft nach Vollendung, aber vor Beendigung möglich ist.

Beispiel: A will O ausrauben, schlägt ihn zu diesem Zweck bewusstlos und nimmt das Handy des O aus dessen Jackentasche. Anschließend kommt B und durchsucht nach kurzer Absprache mit A das Handy nach Ortungsfunktionen und „Anti-Diebstahl-Apps“, deaktiviert diese, bringt das Handy in sein Versteck und veräußert es später. Den Erlös aus der Veräußerung teilen A und B 50:50.

Ist B wegen mittäterschaftlichen Raubes gem. §§ 249 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB strafbar?

Rspr.: Sukzessive Mittäterschaft ist möglich, solange das Tatgeschehen noch weiter gefördert werden kann.3

Argumente:

  • Der in Kenntnis des zuvor Geschehenen zwischen Vollendung und Beendigung hinzutretende Beteiligte zeigt Einverständnis mit dem verbrecherischen Gesamtplan, so dass ihm auch das gesamte Geschehen strafrechtlich zuzurechnen ist. Dieses Argument passt zum subjektiven Ansatz der Rechtsprechung, den sie auch bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme zugrunde legt.
  • Die Tat findet erst in der Beendigung ihren tatsächlichen Abschluss und die Phase zwischen Vollendung und Beendigung ist von großer Wichtigkeit für das Gelingen der Tat.
  • Das Prinzip materieller Gerechtigkeit spricht dafür, den von dem bis dahin Geschehenen profitierenden Hinzutretenden ebenfalls zu bestrafen.

Nach dieser Ansicht wäre B wegen mittäterschaftlichen Raubes strafbar.

h.L.: Sukzessive Mittäterschaft nach Vollendung der Tat ist nicht möglich.4

Argumente:

  • Der für die Mittäterschaft erforderliche gemeinsame Tatentschluss kann nicht nachträglich gefasst werden, weil ansonsten unzulässigerweise der „dolus subsequens“ (rückwirkende Vorsatz) bestraft würde.
  • Der Täter kann nicht mehr kausal für den Eintritt des Erfolgs sein, was nach der conditio-sine-qua-non-Lehre aber erforderlich für die Strafbarkeit wegen eines Erfolgsdelikts ist.
  • Der Eintretende kann die Tat nach Vollendung nicht mehr beherrschen bzw. steuernd in den Händen halten, so dass er nach der Tatherrschaftslehre kein (Mit)Täter sein kann.5 Mehr zur Tatherrschaftslehre sowie zur subjektiven Theorie der Rechtsprechung findest du in unserem Artikel zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme.

Nach dieser Ansicht wäre B nicht wegen mittäterschaftlichen Raubes strafbar.

Sachliche Grenzen

In sachlicher Hinsicht ist auf die gesetzlichen Tatbestände zu achten: Auch nach der Rechtsprechung erfolgt eine Zurechnung nur hinsichtlich Tatbeständen, die noch nicht abgeschlossen (i.S.v. materiell beendet) sind.6

Im obigen Beispiel war die von A begangene Körperverletzung bereits materiell abgeschlossen, als B hinzutrat. B wäre also nach der Rechtsprechung „nur“ nach §§ 249 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB zu bestrafen, jedoch nicht nach §§ 223 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB (in klarstellender Tateinheit mit dem Raub7).

Letztlich folgt das schon aus den zeitlichen Grenzen der Zurechnung: Die Körperverletzung ist zum Zeitpunkt des Eintritts des Mittäters schon materiell beendet, der Raub noch nicht.

Voraussetzungen der sukzessiven Mittäterschaft

Unabhängig vom Zeitpunkt des Eintritts gelten für die Zurechnung einer sukzessiven Mittäterschaft nach § 25 StGB jedenfalls folgende Voraussetzungen:8

  • Der Eintritt muss im Einverständnis aller Mitwirkenden erfolgen.
  • Die Beteiligten müssen im Folgenden ihre Beiträge im gegenseitigen Einvernehmen leisten.
  • Der Beitrag des Beitretenden muss trotz seines späteren Dazukommens ein Gewicht haben, das eine Bewertung als täterschaftliche Begehung rechtfertigt.

Schlusswort

Ich hoffe, du fandest diesen Überblick zur sukzessiven Mittäterschaft hilfreich. Wenn du Verbesserungsvorschläge hast, lass es mich gerne wissen! Ich bin immer bemüht, die Inhalte auf Juratopia weiter zu verbessern.

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Quellennachweise:

  1. BGH, Beschluss vom 16.11.1995, Az.: 4 StR 596/95.
  2. Murmann, Zu den Voraussetzungen der (sukzessiven) Beteiligung – zugleich Anmerkung zu BGH, Urt. v. 18.12.2007 – 1 StR 301/07, NStZ 2008, 280, ZJS 5/2008, 456, 456 f.
  3. BGH, Beschluss vom 24.04.1952, Az.: 3 StR 48/52.
  4. Joecks/Scheinfeld in MüKo StGB, 4. Auflage 2020, § 25 Rn. 211.
  5. Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2019, § 25 Rn. 96.
  6. BGH, Beschluss vom 07.03.2016, Az.: 2 StR 123/15.
  7. BGH Beschluss vom 17. März 2005, Az.: 5 StR 57/05.
  8. Kudlich, in: BeckOK StGB, v. Heintschel-Heinegg, 50. Edition, Stand: 01.05.2021, § 25 Rn. 57.

Artikel verfasst von: 

Lucas Kleinschmitt und Merle Hamm

Lucas ist Volljurist und Gründer von Juratopia. Nach einigen Jahren in Großkanzleien arbeitet er heute als Syndikusrechtsanwalt in einem DAX-Konzern. Merle hat ihr Jurastudium mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsstrafrecht in Bremen absolviert und bereitet sich derzeit auf das Referendariat vor.

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