Wer noch nie in der Großkanzlei gearbeitet hat oder dort nur als Praktikant oder Referendar war, fragt sich manchmal, ob die Arbeit als Associate in einer Großkanzlei langweilig ist.

Mein Geheimnis – im Praktikum war ich gelangweilt

Lass mich Dir ein Geheimnis verraten: Ich habe während der Studienzeit zwei Praktika in Großkanzleien absolviert. Nach diesen Praktika war ich davon überzeugt, dass die Arbeit in der Großkanzlei totlangweilig ist.

In meinen Praktika habe ich stundenlang irgendwelche Rechtsfragen recherchiert, in Rechtsgebieten, mit denen ich vorher noch nie etwas zu tun hatte. Mir hat völlig der Kontext gefehlt und ich habe mich Stunden um Stunden gefühlt sinnlos durch Beck-Online und Juris geklickt.

Dabei kann man nicht sagen, dass die Kanzleien sich keine Mühe mit mir gegeben hätten. In einem meiner Praktika durfte ich sogar den ersten Entwurf einer Klageschrift im Baurecht entwerfen! Leider war ich sowohl im Baurecht als auch im Entwerfen von Klageschriften vollkommen blank. Ich habe also so im Nebel herumgestochert, dass der richtige Spaß auch hier nicht aufgekommen ist.

Außerdem fehlte mir der Hintergrund des Verfahrens. Ich war bei dem gesamten Verfahrensgang nicht dabei gewesen und habe mich deshalb nicht so richtig mit der Aufgabe identifiziert.

Zum Ende meines Studiums hatte ich deshalb eine Großkanzleikarriere für mich eigentlich abgeschrieben.

Auf einmal wurde es spannend

Nach dem ersten Examen habe ich mich dann aber doch entschlossen, dieser Großkanzleisache noch einmal eine letzte Chance zu geben und habe vor dem Referendariat fünf Tage die Woche als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einer Großkanzlei gearbeitet.

Zwei Monate habe ich dort in Vollzeit gearbeitet. Während dieser Zeit war ich ausschließlich mit einem einzigen streitigen Verfahren befasst und konnte mich da voll eingearbeiten. Zuerst half ich bei der Sachverhaltsaufklärung. Dazu habe ich gemeinsam mit einem Associate Keywords festgelegt, nach denen ich eine Datenbank mit E-Mails durchsucht habe.

Auf den ersten Blick hört sich das vielleicht auch langweilig an – tagelang durch E-Mails forsten? Aber im Gegenteil: Ich wurde dadurch Ermittler in einem spannenden Fall von Wirtschaftskriminalität. Zwei Mitarbeiter im Einkauf eines Unternehmens sollen eine Maschine überteuert gekauft und dafür vom Veräußerer eine Provision in sechsstelliger Höhe erhalten haben.

Die Staatsanwaltschaft war eingeschaltet und auf zivilrechtlicher Seite ging es nun um die Erfüllung des Vertrags und Schadensersatzansprüche.

Mit jeder E-Mail entdeckte ich weitere Details dieses Krimis. Absprachen, welche die Einkäufer mit dem Verkäufer getroffen hatten. Ein ominöses Treffen beim Haus des Verkäufers. Wie ein Puzzle fügte sich der Sachverhalt mit jeder E-Mail weiter zusammen und ich konnte immer mehr Stoff für unseren Schriftsatz sammeln.

Wirtschaftskrimi

Nach ein paar Wochen war ich mit dem Sachverhalt besser vertraut als jeder andere Mitarbeiter der Kanzlei. Ich durfte dann auch anfangen, Abschnitte der Sachverhaltsdarstellung im Schriftsatz zu entwerfen. Als nächstes habe ich Rechtsfragen recherchiert und die entsprechenden Abschnitte im Schriftsatz ebenfalls entworfen.

Anders als im Praktikum hat mir das dieses Mal enormen Spaß gemacht: Ich hatte den Kontext, habe mich mit dem Fall identifiziert, konnte durch meine Kenntnis des Sachverhalts ein Kompetenzgefühl entwickeln und hatte das Gefühl, etwas zum Erfolg des Teams beizutragen.

Noch heute denke ich gerne an die morgendlichen Fahrten mit der Hamburger Hochbahn zur Arbeit zurück: an den tollen Blick über den Hafen und die Vorfreude auf den bevorstehenden Arbeitstag.

Der Adrenalin-Kick: Als Associate in der Großkanzlei

Wegen dieses positiven Erlebnisses bin ich dann nach dem Referendariat als Associate in einer Großkanzlei eingestiegen.

Auch das war alles andere als langweilig. Ich erinnere mich noch an den Adrenalin-Rush, als ich in meiner zweiten Woche das erste Mal alleine mit einem Mandanten gesprochen habe. Und er mich als erstes gefragt hat, wieviel Berufserfahrung ich denn schon habe ;D

Oder den positiven Stress, als der Mandant bis zum nächsten Tag ein komplexes Gutachten brauchte und ich dieses mit einem Team aus drei Referendaren an einem Tag zusammenzimmern musste. Ganz zu schweigen von der ersten mündlichen Verhandlung.

Als Associate in der Großkanzlei hast Du viel zu tun, arbeitest oft unter Zeitdruck und lernst dauernd etwas neues. Langweilig ist das fast nie.

Wieviel Zeit verbringst Du mit juristischen Recherchen?

Einige Referendare und wissenschaftliche Mitarbeiter aus Großkanzleien verbringen viel Zeit mit juristischen Recherchen und empfinden dies als langweilig. Sie fragen mich deshalb immer wieder, wie viel Zeit man als Associate mit juristischen Recherchen verbringt.

Ich kann die Frage gut nachvollziehen, denn ich kenne das aus meiner Referendarszeit selbst: Ein Associate sucht 10 Minuten nach einer Antwort auf eine Rechtsfrage, findet nichts und bittet den Referendaren etwas zu finden. Der Referendar sucht fünf Stunden und findet auch nichts. Das kann ein recht frustrierendes Erlebnis sein und ist sicherlich nicht extrem spannend, vor allem, wenn es oft vorkommt.

Hier habe ich aber gute Nachrichten für Dich:

Erstens wird ein guter Ausbilder darauf achten, dass Du als Referendar nicht zu viele von solchen Aufgaben bekommst, sondern Dich auch aktiv einbringen kannst, z.B. durch Entwürfe von Ausschnitten von Verträgen oder Schriftsätzen.

(Voraussetzung für solche „Folgeaufträge“ ist allerdings häufig, dass Du die Recherchen selbst gut erledigst. Es lohnt sich deshalb, gute Rechtsrecherchen zu lernen. Sie sind quasi die Basis für viele weitere Aufgaben. Wie Du gut recherchierst und überzeugende Zusammenfassungen Deiner Ergebnisse ablieferst, erkläre ich hier.)

Zweitens nehmen solche Rechercheaufgaben mit zunehmender Seniorität massiv ab. Als Associate bist Du meistens einfach zu teuer, um stundenlange Recherchen durchzuführen. Du wirst dafür eher wissenschaftliche Mitarbeiter und Referendare einsetzen. Natürlich musst Du selbst zumindest genug recherchieren, um eine Plausibilitätskontrolle der Rechercheergebnisse durchführen zu können.

Fazit

Zusammengefasst: Die Arbeit als Associate in einer Großkanzlei ist spannend, herausfordernd und zuweilen auch stressig – langweilig ist sie ganz sicher nicht.

Wenn Du einen näheren Eindruck von der Arbeit in der Großkanzlei bekommen möchtest, empfehle ich dir diesen Artikel, in dem ich den Arbeitsalltag in der Großkanzlei, insbesondere in der Litigation und im M&A, näher beschreibe.

Außerdem ist die Arbeit natürlich nicht in jeder Großkanzlei gleich. Es lohnt sich deshalb, zu überlegen, was Dir bei einer Großkanzlei als Arbeitgeber wichtig ist und die Kanzlei persönlich kennenzulernen. Tipps dafür gebe ich Dir in meinem Artikel Wie wähle ich die richtige Kanzlei zum Arbeiten? und in der Artikelserie Als Jurist in den Traumjob.

Artikel verfasst von: 

Lucas Kleinschmitt

Lucas ist Volljurist und Gründer von Juratopia. Nach Studium an der Bucerius Law School und Referendariat in Hamburg hat er einige Jahre als Anwalt in der Großkanzlei und als Syndikus in einem DAX-Konzern gearbeitet. Heute ist er General Counsel in einem IoT Startup.

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