Wie ist die Arbeit in der Großkanzlei wirklich? Unabhängige Berichte dazu sind schwer zu finden. Die meisten Beiträge kommen von Associates, die gerade bei einer Kanzlei arbeiten. Solche Artikel können durchaus interessant sein und einen guten Einblick in die Berufspraxis geben. Aber natürlich wird ein Associate seinen Arbeitgeber immer gut aussehen lassen.

Gleichzeitig geistern viele Horrorgeschichten über die Arbeit in Großkanzleien herum, die ungefähr so realistisch sind wie die Verwandlung von Anakin Skywalker zu Darth Vader in Star Wars Episode III. Ich war manchmal wirklich geschockt, was für Fragen Praktikanten und Referendare mir über die Großkanzleiarbeit stellen.

Deshalb will ich versuchen, mit diesem Artikel möglichst objektiv die häufigsten Fragen zu beantworten, die mir Jurastudenten, Referendare und junge Anwälte immer wieder über die Arbeit in der Großkanzlei stellen.

Warum ich das kann:
Ich habe selbst gut zwei Jahre in einer Großkanzlei gearbeitet. Anders als die meisten Associates, die solche Artikel veröffentlichen, arbeite ich dort aber nicht mehr. Außerdem geht es in diesem Artikel nicht um eine konkrete Kanzlei. Stattdessen zeichne ich Dir ein Bild nicht nur aus meinen eigenen Erfahrungen, sondern auch aus den privaten Gesprächen mit dutzenden Associates unterschiedlichster Großkanzleien, die ich über die letzten Jahre geführt habe.

Lass uns anfangen:

Wie sind die Arbeitszeiten in der Großkanzlei? Ist Wochenendarbeit die Regel?

Natürlich arbeitet man in einer Großkanzlei viel. Teilweise geistern an den Unis aber Horrorstories herum, die wirklich übertrieben sind. Einer meiner Praktikanten ging zum Beispiel davon aus, dass Wochenendarbeit für Associates die Regel sei.

Das ist nicht so. Wenn man mal den Schnitt aus dutzenden Associates in verschiedensten Großkanzleien nimmt, mit denen ich die Thematik in den letzten Jahren besprochen habe, dann ist Wochenendarbeit eigentlich für fast niemanden die Regel.

Es gibt mal Phasen, wo das anders ist und Associates mehrere Wochenenden in Folge arbeiten. Bei einzelnen Associates können solche Phasen auch mal monatelang anhalten. Letzteres sind aber wirklich Ausnahmen.

Umgekehrt gibt es auch Associates in Großkanzleien, die morgens zwischen neun und zehn Uhr kommen, abends fast immer zwischen sieben und acht wieder nach Hause gehen und am Wochenende so gut wie nie arbeiten. Das sind natürlich sehr angenehme und geregelte Arbeitszeiten, aber auch Ausnahmen.

Bevor jetzt Fragen nach Kanzleien eintrudeln: Was die Arbeitsbelastung angeht, ist die Wahl der Kanzlei (innerhalb der Großkanzleien) oft gar nicht der entscheidende Faktor. Entscheidend ist eher, in welchem Team man für welchen Partner zu welcher Zeit arbeitet.

Wenn Dir die Arbeitszeiten wichtig sind, solltest Du Dich deshalb vor Deinem Einstieg gründlich über das ganz konkrete Team informieren. Du hast relativ wenig davon, wenn Du in einer Kanzlei mit generell angenehmen Arbeitszeiten arbeitest, Dein Team aber die Ausnahme ist und den Kanzleiumsatz pro Associate hochzieht.

Gerade was den Zeitpunkt angeht, spielt aber auch immer der Zufall mit rein. Wenn dem Partner gerade mehrere Associates kündigen und gleichzeitig viel Arbeit reinkommt, haben die verbleibenden Anwälte natürlich viel zu tun.

Noch ausführlichere Infos dazu, wie viel Du in der Großkanzlei arbeitest, findest Du in meinem Artikel Arbeitszeiten in der Großkanzlei.

Wie viel Mandantenkontakt habe ich in der Großkanzlei? Arbeite ich dort nur im Hinterzimmer?

Gerade neulich hat mir wieder ein junger Anwalt erzählt, dass er sich für eine kleinere Kanzlei entschieden hat, weil er nicht in der Großkanzlei im Hinterzimmer untergehen wolle.

Das ist ein Klischee, was sich erstaunlich hartnäckig hält. Sicherlich gibt es auch irgendwo Associates, die in Hinterzimmern Akten bearbeiten und nie einen Mandanten zu Gesicht bekommen. Tatsächlich sind das aber verdammt wenige. Die allermeisten Associates in Großkanzleien erzählen mir eher das Gegenteil:

Dass sie sich extrem gefordert, oft an der Grenze zur Überforderung, fühlen, weil sie so früh so viel Verantwortung und Mandantenkontakt bekommen. Ich selbst hatte mein erstes Gespräch alleine mit einem Mandanten in meiner zweiten Woche im Job.

Wie viel Partnerkontakt hat man in einer großen Wirtschaftskanzlei wirklich?

Ein anderes Thema ist, wie viel Zeit man in einer Großkanzlei mit dem Partner bekommt. Auch hier gibt es besonders große Unterschiede weniger zwischen den verschiedenen Kanzleien, sondern vor allem zwischen verschiedenen Partnern.

Viele Großkanzleipartner haben sehr viel zu tun und dementsprechend schwierig ist es für sie, sich Zeit für einen Associate zu nehmen. Dann bekommen die Associates Anweisungen nur kurz am Telefon oder in einem Einzeiler per Mail und sind zu großen Teilen auf sich selbst gestellt.

Andere hingegen sind weniger ausgelastet oder priorisieren die Ausbildung ihrer Associates einfach noch höher. Mein Hauptanbindungspartner hat in besonders stressigen Zeiten z.B. immer mal wieder einen Teil seines Wochenendes geopfert um mit mir stundenlang Schriftsätze, Zeugenbefragungen und Strategien zu besprechen. Das war für mich natürlich super, kann man aber sicherlich nicht von jedem Partner erwarten. Gerade deshalb ist es wichtig, sich über die Partner, für die man arbeiten wird, im Vorfeld gut zu erkundigen.

Nach dem, was ich erzählt bekomme, habe ich insgesamt schon den Eindruck, dass sich Partner in kleineren Kanzleien im Schnitt mehr Zeit für ihre Associates nehmen (können) als in Großkanzleien.

Wie stressig ist die Arbeit für Associates?

In Großkanzleien hat man auch als junger Associate viel Verantwortung und steht oft unter Zeitdruck. Die Arbeit ist also stressig. Außerdem schläft man in intensiven Zeiten in den meisten Großkanzleien schon mal weniger und wird dadurch stressanfälliger. In intensiven Verhandlungen, wo alle gestresst und übermüdet sind, kann der Ton zwischen den Parteien auch mal etwas rauher werden.

Für nicht wenige ist es schwierig, nach Feierabend richtig abzuschalten. Vor allem in internationalen Transaktionen trudeln die E-Mails bis spät in die Nacht auf dem Blackberry oder iPhone ein.

Manche leider darunter sehr und kündigen nach wenigen Monaten wieder, um in den Staatsdienst oder eine kleinere Einheit zu gehen. Du solltest deshalb eine gewisse Stressresistenz und Spaß am Adrenalin-Rush mitbringen.

Funktioniert Teilzeit in der Großkanzlei in der Praxis?

Fast alle Großkanzleien bieten inzwischen in irgendeiner Form Teilzeitmodelle an. In der Praxis ist die Umsetzung aber nicht so einfach.

Das Hauptproblem ist, dass die Arbeitszeit schwer zu definieren ist. Wie viel sind 50% von einer undefinierten Vollzeit?

Schwierig kann auch die Umsetzung im Mandat sein. Wirst Du dem Mandanten wirklich sagen, dass Du eine dringende Aufgabe nicht machen kannst, weil morgen Dein freier Tag ist? Wirst Du das dem Partner sagen? Wirst Du Deinen vielleicht schon gestressten und überarbeiteten Kollegen bitten, bis tief in die Nacht zu bleiben, weil Du mittags nach Hause gehst, gemäß Deines Teilzeitvertrags? Ich will nicht sagen, dass es nicht geht. Aber leicht durchzusetzen ist es nicht immer.

Viele der Teilzeit-Associates in verschiedenen Kanzleien, mit denen ich darüber gesprochen habe, haben sich deshalb beklagt, dass es nicht richtig funktioniere und ihre freien Tagen selten wirklich frei seien. In einigen Fällen hat es aber auch gut geklappt. So zum Beispiel bei einer ehemaligen Kollegin von mir, die jeden Nachmittag ihr Kind aus der Kita abgeholt hat und dann nach Hause gefahren ist.

Interessant finde ich das Konzept der Teilzeit mit festen Wochenstunden, wie es jetzt einige Kanzleien eingeführt haben. Wie gut das in der Praxis funktioniert, ist mir allerdings bisher nicht bekannt.

Was machst Du eigentlich in der Großkanzlei den ganzen Tag?

Wenn Du ein genaueres Bild davon haben möchtest, mit welchen Aufgaben Du als Associate in der Großkanzlei Deinen Tag verbringst, findest Du eine ausführliche Beschreibung in meinem Artikel zum Arbeitsalltag in der Großkanzlei.

Fazit: Ist es empfehlenswert, in die Großkanzlei zu gehen?

Du merkst schon: Eine klare Antwort gibt es darauf nicht. Mir persönlich hat die Arbeit in der Großkanzlei viel Spaß gemacht und ich werde eine solche Arbeit in Zukunft wahrscheinlich auch wieder aufnehmen. Ob ein Job in der Großkanzlei für Dich das Richtige ist, hängt von Deinen Bedürfnissen aber auch vom ganz konkreten Job, Partner und Team ab. Letztlich ist nicht nur wichtig, in welcher Kanzlei Du arbeitest, sondern auch, für welchen Partner und in welchem Team.

Deshalb solltest Du unbedingt gründlich recherchieren: Nicht nur die Kanzlei, sondern auch die Partner, für die Du tätig sein wirst. In meiner Artikelserie zu Jobsuche und Bewerbung für Juristen gebe ich Dir dazu Tipps.

Eine weitere Überlegung, die ich berücksichtigen würde, ist, dass es immer leichter runter geht als rauf. Aus der Großkanzlei in eine kleine Kanzlei oder in den Staatsdienst zu wechseln, ist relativ leicht. Andersherum kann es schwieriger sein. Mit einem Einstieg in einer Großkanzlei hältst Du Dir also im Zweifel alle Türen offen.

So, das war’s fürs Erste. Ich hoffe, in diesem Artikel mit ein paar der pauschalisierenden Mythen rund um die Großkanzleiarbeit aufgeräumt zu haben und Dir Deine Entscheidung damit ein bisschen erleichtert zu haben.

Wenn Du Feuer gefangen hast und Dich bei Großkanzleien bewerben möchtest, hilft Dir mein Artikel zur Bewerbung in der Großkanzlei.

Herzliche Grüße

Lucas

Artikel verfasst von: 

Lucas Kleinschmitt

Lucas ist Volljurist und Gründer von Juratopia. Nach Studium an der Bucerius Law School und Referendariat in Hamburg hat er einige Jahre als Anwalt in der Großkanzlei und als Syndikus in einem DAX-Konzern gearbeitet. Heute ist er General Counsel in einem IoT Startup.

Lass mich auch dein Studium oder Referendariat mit meinen gratis E-Mail Kursen verbessern: