Der Folgenbeseitigungsanspruch (FBA) ermöglicht nach rechtswidrigen hoheitlichen Maßnahmen die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands (status quo ante) oder zumindest die Herstellung eines diesem gleichwertigen Zustands.
Damit gehört er zum Recht der staatlichen Ersatzleistungen.
Durch die Zielsetzung der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands unterscheidet sich der Folgenbeseitigungsanspruch von Schadensersatzansprüchen, welche zur Herstellung des hypothetischen gegenwärtigen Zustands berechtigen, der bestehen würde, wenn das schädigende Ereignis nicht stattgefunden hätte.
Im Folgenden zeige ich Dir zuerst ein Kurzschema für den ersten Überblick über die Prüfung des Folgenbeseitigungsanspruchs. Darunter findest Du dann ein ausführliches Prüfungsschema zum Folgenbeseitigungsanspruch mit Definitionen und Erläuterungen.
Zunächst ein Kurzschema zum Folgenbeseitigungsanspruch ohne Definitionen:
A. Hoheitliche Maßnahme
B. Beeinträchtigung rechtlich geschützter Interessen
C. Rechtswidriger Zustand geschaffen
D. Rechtswidriger Zustand dauert noch an
E. Wiederherstellung zulässig, möglich und zumutbar
F. Rechtsfolgen
I. Allgemeines
II. Mitverschulden
III. Prozessuales
Sodann ein ausführliches Schema zum Folgenbeseitigungsanspruch mit Definitionen und Klausurproblemen:
A. Hoheitliche Maßnahme
Genau wie beim öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch kann grundsätzlich jede hoheitliche Maßnahme bzw. Amtshandlung den Folgenbeseitigungsanspruch auslösen.1
Gegen (nicht vollzogene) Verwaltungsakte ist allerdings mit Widerspruch oder Anfechtungsklage vorzugehen, so dass als Anwendungsbereich für den Folgenbeseitigungsanspruch nur Formen von tatsächlichem Handeln (und ggf. Unterlassen) verbleiben. Hierzu gehört auch der Vollzug von Verwaltungsakten, sogenannter Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch.
- Zu den erfassten Realakten gehören auch Äußerungen öffentlich Bediensteter. (Vgl. zur Abgrenzung zwischen privaten und öffentlichen Äußerungen auch das Schema zum öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch). In diesen Fällen kann mit dem Folgenbeseitungsanspruch der Widerruf bzw. die Richtigstellung ergangener Äußerungen erreicht werden.2
B. Beeinträchtigung rechtlich geschützter Interessen
Die hoheitliche Maßnahme muss in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen oder sonstige subjektive (öffentliche) Rechte des Betroffenen eingreifen.3
- Ein subjektives (öffentliches) Recht ist die dem Einzelnen kraft Öffentlichen Rechts zuerkannte Rechtsmacht, zur Verfolgung eigener Interessen vom Staat ein bestimmtes Verhalten (Tun, Dulden oder Unterlassen) verlangen zu können.4
- Auf ein Verschulden des Hoheitsträgers kommt es für die Beeinträchtigung nicht an.5
C. Rechtswidriger Zustand geschaffen
Infolge der hoheitlichen Beeinträchtigung muss ein rechtswidriger Zustand geschaffen worden sein.6
- Hier ist genau zu unterscheiden: Auf die Rechtswidrigkeit der eingreifenden Maßnahme kommt es nicht an, sondern nur auf die Rechtswidrigkeit des durch die Maßnahme geschaffenen (und möglicherweise erst später eingetretenen) Zustands.7
D. Rechtswidriger Zustand dauert noch an
Der geschaffene rechtswidrige Zustand muss zum Zeitpunkt der gerichtichen Entscheidung8 noch andauern.
- Der rechtswidrige Zustand kann auch zwischenzeitlich beseitigt worden sein. Dies kann die Behörde nicht nur durch tatsächliche Rückgängigmachung der eingetretenen Folgen erreichen, sondern auch dadurch, dass sie den Zustand nachträglich legalisiert (z. B. durch Erlass eines neuen, rechtmäßigen Verwaltungsakts).
E. Wiederherstellung ist zulässig, möglich und zumutbar
Die Wiederherstellung darf nicht selbst rechtswidrig sein, weil unrechtmäßiges Verwaltungshandeln nur durch zulässiges Verwaltungshandeln ausgeglichen werden kann.9
- In den „Einweisungsfällen“, in denen der Wohnungseigentümer die Räumung seiner Wohnung verlangt, kann der FBA deshalb nur dann bejaht werden, wenn die verpflichtete Behörde die Räumung gegen den Obdachlosen auch durchsetzen darf, z. B. über die polizeiliche Generalklausel.10
Der Folgenbeseitigungsanspruch ist ferner nach den Grundsätzen von Treu und Glauben ausgeschlossen, wenn der zu beseitigende Zustand sogleich rechtmäßig wiederhergestellt werden könnte.
- Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die nachträgliche Legalisierung des Zustands möglich ist.11
Der FBA entfällt außerdem, wenn dem Hoheitsträger die Wiederherstellung nicht zugemutet werden kann, weil „damit ein unverhältnismäßig hoher Aufwand verbunden ist, der zu dem erreichbaren Erfolg bei allem Respekt für das Verlangen nach rechtmäßigen Zuständen in keinem vernünftigen Verhältnis mehr steht“.12
Die neuere Rechtsprechung greift zur Begründung der Unzumutbarkeit auf eine entsprechende Anwendung des § 275 Abs. 2 BGB zurück, wenn die Beeinträchtigung gering ist und der Nutzen der Wiederherstellung außer Verhältnis zum dafür erforderlichen Kostenaufwand steht (Beispiel: Aufwendige Abbrucharbeiten, um einen marginalen Überbau zu beseitigen).13
In diesen Fällen kann sich der FBA aber, wenn die Gründe der Unzumutbarkeit der Sphäre des Hoheitsträgers zuzurechnen sind, analog § 251 BGB in einen Geldersatzanspruch („Folgenentschädigungsanspruch“) umwandeln.14
F. Rechtsfolgen
I. Allgemeines
Besteht der Folgenbeseitigungsanspruch, muss der Hoheitsträger den Zustand wiederherstellen, der vor dem Eintritt der rechtswidrigen bzw. rechtswidrig gewordenen Beeinträchtigung bestand.
Dies ist nicht zu wörtlich verstehen: Da ohne den Einsatz von Zeitreisen bereits eingetretene Beeinträchtigungen nicht rückwirkend beseitigt werden können, kommt in der Regel nur die Herstellung eines dem status quo ante gleichwertigen Zustands in Betracht. (Voßkuhle, JuS 2012, 1079 (1081); Faber, NVwZ 2003, 159 (163))
- Ein wichtiger Unterschied zu Schadensersatzansprüchen liegt darin, dass nur die unmittelbar durch den Eingriff verursachten Folgen rückgängig zu machen sind, aber kein Anspruch im Hinblick auf etwaige Folgeschäden besteht.15
- Umstritten ist, ob bei rechtswidrigen Äußerungen (vgl. insoweit auch das Schema zum öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch) die Folgenbeseitigung auch verlangt werden kann, wenn es sich um Meinungsäußerungen handelt. Nach einer Auffassung können Werturteile im Gegensatz zu Tatsachenbehauptungen nicht rückgängig gemacht werden, was die Unmöglichkeit der Erfüllung des Anspruchs zur Folge habe.16. Nach anderer Auffassung können z. B. Widerrufserklärungen, Neubewertungen oder das schlichte Anerkenntnis, dass die Meinungsäußerung rechtswidrig war, den status quo ante zumindest teilweise wiederherstellen, sodass auch in diesen Fällen der FBA bestehe.17
II. Mitverschulden
Auf wenn der Folgenbeseitigungsanspruch verschuldensunabhängig entsteht, ist in Anwendung des Rechtsgedankens des § 254 BGB ein etwaiges Mitverschulden des Geschädigten zu berücksichtigen.18
Problematisch ist dies, wenn der Anspruch nicht teilbar ist, also die Wiederherstellung nur vollständig oder überhaupt nicht erfolgen kann. Die Rspr. ist insoweit von der früheren „Alles-oder-nichts-Lösung“ abgerückt und spricht sich dafür aus, in solchen Fällen den Anspruch in einen – teilbaren – Anspruch auf Geldersatz umzuwandeln.19
III. Prozessuales
Für den Folgenbeseitigungsanspruch ist stets der Verwaltungsrechtsweg gem. § 40 Abs. 1 VwGO eröffnet.20
Da die Folgenbeseitigung in der Regel durch schlicht-hoheitliches Handeln erfolgt, ist für den Anspruch die allgemeine Leistungsklage zu wählen. Gemäß § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO kann der Anspruch aber auch als Annex-Antrag im Rahmen der Anfechtungsklage (Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch, dazu schon oben) geltend gemacht werden.
Dogmatische Grundlage des Folgenbeseitungsanspruches
Der Folgenbeseitungsanspruch wurde von Literatur und Rechtsprechung entwickelt und ist gewohnheitsrechtlich anerkannt.
Im Rahmen der Anfechtungsklage wird der Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch mittlerweile in § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO vorausgesetzt, die Voraussetzungen selbst werden aber nicht geregelt.21
Die dogmatische Grundlage ist – genau wie beim öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch – sowohl unklar als auch irrelevant, weil Einigkeit über die Anspruchsvoraussetzungen besteht. Fogende dogmatische Grundlagen werden zur Begründung des FBA vertreten:22
- Rechtsstaatsprinzip/Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Art. 20 Abs. 3 GG
- (Gesamt-)Analogie zu §§ 1004, 861, 862 BGB
- Abwehrrechtliche Dimension der Grundrechte
- Gewohnheitsrecht
Schlusswort
Ich hoffe, Du fandest dieses Prüfungsschema zum Folgenbeseitigungsanspruch hilfreich. Wenn Du Verbesserungsvorschläge hast, lass es mich gerne wissen! Ich bin immer bemüht, die Inhalte auf Juratopia weiter zu verbessern.
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Quellennachweise:
- BVerwG, Urteil vom 19.07.1984 – 3 C 81/82.
- Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 19.07.1984 – 3 C 81/82.
- BVerwG, Urteil vom 19.07.1984 – 3 C 81/82.
- Vgl. Voßkuhle, JuS 2009, 16 (17).
- BVerwG, Beschluss vom 06.02.1987 – 2 B 12.87.
- BeckOK VwGO, 55. Edition 2020, § 113 Rn. 48.
- BVerwG, Urteil vom 23.05.1989 – 7 C 2/87.
- Schoch/Schneider VwGO, 39. EL 2020, § 113 Rn. 91.
- BVerwG, Urteil vom 24.03.1988 – 3 C 48/86; Beschluss vom 02.12.2015 – 6 B 33/15.
- Voßkuhle, JuS 2012, 1079 (1081 f.).
- BVerwG, Urteil vom 06.09.1988 – 4 C 26/88.
- BVerwG, Urteil vom 26.08.1993 – 4 C 24/91.
- VGH München, Beschl. v. 5. 11. 2012 – 8 ZB 12.116.
- Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.08.1993 – 4 C 24/91.
- Voßkuhle, JuS 2012, 1079 (1081).
- Pinger, JuS 1988, 53 (57).
- Faber, NVwZ 2003, 159 (162 f.).
- Mazur, ZJS 2011, 321 (325).
- BVerwG, Urteil vom 14.04.1989 – 4 C 34/88.
- MüKo BGB, 8. Auflage 2020, § 839 Rn. 138.
- BeckOK GG, 45. Edition 2020, Art. 34 Rn. 43.
- Vgl. Voßkuhle, JuS 2012, 1079 (1080).