Der Defensivnotstand (oder auch Verteidigungsnotstand) nach § 228 BGB ist einer der beiden zivilrechtlichen Notstände, die im Strafrecht ein Rechtfertigungsgrund sind. Kennzeichen des Defensivnotstandes – im Gegensatz zum Aggressivnotstand nach § 904 BGB – ist es, dass sich die Notstandshandlung bei § 228 BGB gegen die Sache richtet, von der die Gefahr ausgeht.
Im Folgenden zeige ich Dir zuerst ein Prüfungsschema zum Defensivnotstand nach § 228 BGB. Darunter findest Du dann eine Zusammenfassung zum Defensivnotstand mit den wichtigsten Definitionen und Klausurproblemen.
Prüfungsschema zum Defensivnotstand nach § 228 BGB:
A. Objektive Voraussetzungen des Defensivnotstandes
I. Notstandslage
1. Drohende Gefahr für ein notstandsfähiges Rechtsgut
2. Gefahr geht von fremder Sache aus
II. Notstandshandlung
1. Beschädigung oder Zerstörung der Sache, von der die Gefahr ausgeht
2. Erforderlichkeit
3. Verhältnismäßigkeit
B. Subjektive Voraussetzungen des Defensivnotstandes
Zusammenfassung zum Defensivnotstand nach § 228 BGB mit Definitionen und Klausurproblemen:
A. Objektive Voraussetzungen des Defensivnotstandes
Objektiv setzt der Defensivnotstand eine Notstandslage sowie eine erforderliche und verhältnismäßige Notstandshandlung voraus.
I. Notstandslage
1. Drohende Gefahr für ein notstandsfähiges Rechtsgut
Notstandsfähiges Rechtsgut ist im Rahmen von § 228 BGB jedes geschützte Interesse des Handelnden oder eines Dritten, zum Beispiel das Eigentum aus Art. 14 GG, das Hausrecht oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG.1
Eine drohende Gefahr ist ein Zustand, der aus objektiver Sicht ex ante den Eintritt eines Schadens nicht nur als möglich, sondern als naheliegend erscheinen lässt.2
2. Gefahr geht von fremder Sache aus
Die Gefahr muss von einer fremden Sache ausgehen. Die Sache muss also im Eigentum einer vom Handelnden verschiedenen Person stehen.4
Außerdem muss die Gefahr nach dem Gesetzeswortlaut von der durch die Notstandshandlung betroffenen Sache selbst ausgehen.
- Wegen § 90a S. 3 BGB ist die Vorschrift auch auf Gefahren anwendbar, die von Tieren ausgehen.5
- Wenn die Sache als Werkzeug eingesetzt wird, handelt es sich bei der Verteidigungshandlung um Notwehr nach § 32 StGB.6 § 228 BGB greift dann nicht ein.
Klausurproblem: Unmittelbarkeit der Gefahr
Umstritten ist, ob § 228 BGB nur Anwendung findet, wenn eine Sache unmittelbar aus sich selbst heraus ein fremdes Rechtsgut gefährdet oder ob eine mittelbare Gefahrverursachung ausreichend ist.7 (Bsp: Hinter einem Damm staut sich Hochwasser auf. Die Gefahr geht unmittelbar vom Wasser aus und nur mittelbar vom Damm.)
- Eine Ansicht: Die Gefahr muss unmittelbar von der beschädigten oder zerstörten Sache ausgehen. Argument: Der zivilrechtliche Notstand sei eine Durchbrechung der Eigentumsfreiheit nach § 903 BGB. § 228 S. 2 BGB sehe einen Schadensersatzanspruch des Eigentümers (anders als § 904 S. 2 BGB beim Aggressivnotstand) nur bei Verschulden vor. Deshalb müsse der Gefahrbegriff eng ausgelegt werden.
- Andere Ansicht: Eine mittelbare Gefahrverursachung reicht aus.
II. Notstandshandlung
1. Beschädigung oder Zerstörung der Sache, von der die Gefahr ausgeht
Die gerechtfertigte Verteidigungshandlung ist die Beschädigung oder Zerstörung der Sache, von der die Gefahr ausgeht.
- Richtet sich die Verteidigung gegen eine andere Sache, kommt der Aggressivnotstand nach § 904 BGB in Betracht.
2. Erforderlichkeit
Die Notstandshandlung ist erforderlich, wenn sie zur Gefahrabwendung geeignet und unter mehreren gleich geeigneten Handlungsmöglichkeiten das mildeste Mittel ist.8
Anders als bei der Notwehr muss der Handelnde beim Defensivnotstand nach § 228 BGB zunächst Fluchtmöglichkeiten ausprobieren.9 Mangels Angriffes eines Menschen gilt der Grundsatz „Recht braucht Unrecht nicht zu weichen“ hier nicht, der Handelnde tritt nicht als Verteidiger der Rechtsordnung auf.
3. Verhältnismäßigkeit
Die Notstandshandlung muss außerdem verhältnismäßig sein. Der durch die Notstandshandlung eintretende Schaden darf nicht außer Verhältnis zur abgewendeten Gefahr stehen.
- Die Beurteilung erfolgt grundsätzlich nach objektiven Gesichtspunkten, allerdings können im Einzelfall auch ideelle Interessen berücksichtigt werden.10 Insbesondere bei Tieren kann der Tierhalter ein besonderes Affektionsinteresse haben.11
- Leben und Gesundheit eines Menschen sind grundsätzlich höherwertig als Sachwerte.12
- Die Abwägung zwischen Sachwerten erfolgt – ggf. unter Berücksichtigung ideeller Interessen – durch einen Vergleich der wirtschaftlichen Werte.13
Die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit sind beim Defensivnotstand nach § 228 BGB geringer als beim Aggressivnotstand nach § 904 BGB oder beim Notstand nach § 34 StGB. (§ 904 BGB verlangt, dass drohende Schaden gegenüber dem aus der Einwirkung dem Eigentümer entstehenden Schaden unverhältnismäßig groß ist und bei § 34 StGB muss „das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwieg[en]“.)
B. Subjektive Voraussetzungen des Defensivnotstandes
Der Handelnde muss die Umstände kennen, die die Notstandslage begründen sowie nach der herrschenden Meinung auch mit Rettungswillen handeln.14
Schlusswort
Ich hoffe, Du fandest diesen Überblick über den Defensivnotstand nach § 228 BGB hilfreich. Wenn Du Verbesserungsvorschläge hast, lass es mich gerne wissen! Ich bin immer bemüht, die Inhalte auf Juratopia weiter zu verbessern.
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Quellennachweise:
- zum Abschuss einer filmenden Drohne über dem eigenen Grundstück AG Riesa, Urteil vom 24.04.2019, Az.: 9 Cs 926 Js 3044/19.
- BGH, Beschluss vom 15.02.1963, Az.: 4 StR 404/62; BeckOK BGB, 56. Edition 2020, § 228 BGB Rn. 4.
- BeckOK BGB, 56. Edition 2020, § 228 BGB Rn. 4.
- MüKo BGB, 8. Auflage 2018, § 228 BGB Rn. 7.
- vgl. auch OLG Hamm, Urteil vom 14.03.1994, Az.: 6 U 7/93.
- BeckOK BGB, 56. Edition 2020, § 228 BGB Rn. 5.
- Ausführlich zum Streit mit weiteren Beispielen: MüKo BGB, 8. Auflage 2018, § 228 BGB Rn. 8.
- BGH, Beschluss vom 28.06.2016, Az.: 1 StR 613/15.
- OLG Hamm, Urteil vom 14.03.1995, Az.: 27 U 218/94.
- vgl. MüKo BGB, 8. Auflage 2018, § 228 BGB Rn. 10.
- OLG Hamm, Urteil vom 14.03.1994, Az.: 6 U 7/93.
- OLG Hamm, Urteil vom 14.03.1995, Az.: 27 U 218/94.
- vgl. MüKo BGB, 8. Auflage 2018, § 228 BGB Rn. 10.
- BGH, Urteil vom 30.10.1984, Az.: VI ZR 74/83.