Die Zweckverfehlungskondiktion (condictio ob rem) erlaubt die Rückforderung des durch Leistung eines anderen Erlangten, wenn der mit der Leistung nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckte Erfolg nicht eintritt. Sie ist in § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB geregelt.

Als besondere Leistungskondiktion weist die condictio ob rem einige Überschneidungen mit der allgemeinen Leistungskondiktion (condictio indebiti) und insbesondere mit der condictio ob causam finitam auf.

Die Zweckverfehlungskondiktion lässt sich wie folgt von den anderen Leistungskondiktionen des § 812 BGB abgrenzen: Bei ihr liegt der Leistung eine Zweckabrede zugrunde, die zwar keinen Anspruch auf den Erhalt der Leistung begründet (Unterschied zur condictio ob causam finitam), aber bis zur Verfehlung des Zwecks als Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Leistung wirkt (Unterschied zur condictio indebiti).

Im Folgenden zeige ich Dir zuerst ein Kurzschema für den ersten Überblick über die Prüfung der condictio ob rem nach § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB. Darunter findest Du dann ein ausführliches Prüfungsschema zur condictio ob rem mit Definitionen und Klausurproblemen.

Zunächst ein Kurzschema zur condictio ob rem nach § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB:

A. Etwas erlangt

B. Durch Leistung eines anderen

C. Zweckverfehlung

I. Zweckvereinbarung

II. Nichterreichen des Zwecks

D. Keine Kondiktionssperre

I. § 814 BGB

II. § 815 BGB

III. § 817 S. 2 BGB

E. Umfang des Bereicherungsanspruchs

Sodann ein ausführliches Schema zur condictio ob rem mit Definitionen und Klausurproblemen:

A. Etwas erlangt

„Etwas erlangt“ hat der Empfänger bei der condictio ob rem unter den gleichen Voraussetzungen wie bei der allgemeinen Leistungskondiktion.1

B. Durch Leistung eines anderen

Da sich bei der condictio ob rem das der Leistung zugrunde liegende Kausalverhältnis von dem der anderen Leistungskondiktionen unterscheidet, könnten die verschiedenen Zweckvereinbarungen (s. u.) auch hier bereits zur Sprache kommen. Zulässig und übersichtlicher ist es aber, hier mit derselben Definition wie bei der condictio indebiti zu arbeiten und die Unterschiede erst im nächsten Prüfungspunkt darzustellen.2

C. Zweckverfehlung

Die Zweckverfehlung entspricht konzeptionell dem Wegfall des Rechtsgrundes bei der condictio ob causam finitam; der Unterschied liegt lediglich darin, dass bei der condictio ob rem die „causa“ schwächer ausgebildet ist.3 Der Herausgabeanspruch entsteht, wenn zwischen Leistendem und Leistungsempfänger eine Zweckvereinbarung geschlossen wurde, der darin bestimmte Zweck aber nicht erreicht werden kann.

I. Zweckvereinbarung

Leider ist die Rechtsnatur der Zweckvereinbarung hoffnungslos umstritten. Wir wollen uns im Folgenden auf die Überlegung stützen, dass sie zumindest im Grundsatz nichts anderes ist als ein Vertrag zwischen Leistendem und Leistungsempfänger.4 Das wirft die Frage auf, worin dann noch ein Unterschied zur condictio ob causam finitam bestehen soll. Die Antwort liegt im Detail: Der Leistungsempfänger darf kraft der Zweckvereinbarung zwar die Leistung behalten, wenn sie bewirkt wird; es ist ihm aber versagt, die Bewirkung der Leistung auch durchzusetzen. Anders formuliert: Die Zweckvereinbarung begründet eine Forderung (die auch erfüllt werden kann), aber keinen Anspruch.

Wie sieht nun der Inhalt einer Zweckvereinbarung aus, wenn diese keinen durchsetzbaren Anspruch auf die Leistung verleiht? Zunächst muss der Leistende wenigstens konkludent erklären, dass die Leistung an einen bestimmten Zweck geknüpft ist, während der Empfänger wenigstens konkludent erklären muss, dass die Zweckbestimmung kennt und billigt. 5 Zur Veranschaulichung lassen sich die meisten Zweckvereinbarungen einer der beiden folgenden Fallgruppen zuordnen:

  1. Veranlassungsfälle: Nach dem vereinbarten Zweck soll der Empfänger durch die Leistung zu einem bestimmten Handeln oder Unterlassen veranlasst werden, wobei natürlich kein echter Anspruch auf die „Gegenleistung“ bestehen darf.6 Der absolute (Klausur-)Klassiker ist der sog. Schwarzkauf: Ein Grundstückskaufvertrag ist formnichtig (meist deshalb, weil zwecks Kostenersparnis nur ein zu geringer Kaufpreis notariell beurkundet wurde, sodass die Grundsätze des Scheingeschäfts gem. § 117 BGB gelten); dennoch zahlt der Käufer die vereinbarte Summe, um den Verkäufer zur (nicht geschuldeten) Eigentumsübertragung zu bewegen und die Heilung der Formnichtigkeit gem. § 311 Abs. 1 S. 2 BGB zu bewirken.7
  2. Erwartungsfälle: Schwieriger zu erkennen sind die Fälle, in denen in Erwartung eines Ereignisses geleistet wird, das nach Vorstellung der Parteien unabhängig von der Leistung eintreten wird.8 Häufig anzutreffen sind vor allem Verwendungen auf fremde Sachen in Erwartung des späteren Eigentumserwerbs (z. B. durch Kauf oder Erbschaft): Der vereinbarte Zweck ist dann darin zu sehen, dass die Leistung aufgrund des späteren Erwerbs letztlich dem Leistenden zugutekommt.

II. Nichterreichen des Zwecks

Die Zweckvereinbarung kann nicht nur einen Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Leistung liefern, sondern umgekehrt auch den Herausgabeanspruch auslösen: Dieser entsteht dann (und nur dann), wenn endgültig feststeht, dass der bezweckte Erfolg nicht eintreten wird.9 Über die Zweckvereinbarung wird also der Eintritt des bezweckten Erfolgs zu einer auflösenden Bedingung für das Behaltendürfen.10

D. Keine Kondiktionssperre

I. § 814 BGB

Da die Zweckvereinbarung keine Verbindlichkeit im Sinne des § 814 BGB begründet, gilt diese Kondiktionssperre für die Zweckverfehlungskondiktion nicht.11

II. § 815 BGB

Demgegenüber hat die condictio ob rem mit § 815 BGB einen eigenen Ausschlussgrund, dem dieselbe Wertung wie bei § 814 BGB zugrunde liegt.12

  • Der 1. Fall liegt vor, wenn der Eintritt des Leistungszwecks von Anfang an unmöglich ist und der Leistende positive Kenntnis davon hat.13
  • Der 2. Fall ist mit § 162 Abs. 1 BGB vergleichbar und erfasst die treuwidrige Verhinderung des Erfolgseintritts durch den Leistenden. Der Verstoß gegen Treu und Glauben erfordert keine Absicht, sondern nur, dass sich der Leistende bewusst war, dass seine Handlungen den Erfolg möglicherweise verhindern würden.14

III. § 817 S. 2 BGB

§ 817 S. 2 BGB gilt für alle Leistungskondiktionen und erfasst erst recht den Fall, dass nur der Leistende gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) oder die guten Sitten (§ 138 BGB) verstößt.15 Neben dem objektiven Verstoß muss sich der Leistende zumindest leichtfertig der Einsicht in den Gesetzes- oder Sittenverstoß verschlossen haben.16

E. Umfang des Bereicherungsanspruchs

Das Prüfungsschema zum Inhalt und Umfang des Bereicherungsanspruchs findest Du hier.

Schlusswort

Ich hoffe, Du fandest dieses Prüfungsschema zur condictio ob rem nach § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB hilfreich. Wenn Du Verbesserungsvorschläge hast, lass es mich gerne wissen! Ich bin immer bemüht, die Inhalte auf Juratopia weiter zu verbessern.

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Quellennachweise:

  1. BeckOK BGB, 55. Edition 2020, § 812 Rn. 96.
  2. Vgl. MüKo BGB, 8. Auflage 2020, § 812 Rn. 468.
  3. BeckOK BGB, 55. Edition 2020, § 812 Rn. 86.
  4. Dazu und zum Folgenden MüKo BGB, 8. Auflage 2020, § 812 Rn. 469; die ebenso vertretbare Gegenansicht geht von einer „tatsächlichen Willensübereinstimmung ohne Vertragscharakter“ aus, vgl. Schulze BGB, 10 Auflage 2019 Rn. 11.
  5. BGH Az.: V ZR 28/12.
  6. BeckOK BGB, 55. Edition 2020, § 812 Rn. 88.
  7. BGH Az.: V ZR 56/98.
  8. Vgl. BeckOK BGB, 55. Edition, § 812 Rn. 89 ff.
  9. BGH Az.: VII ZR 118/60.
  10. Vgl. BeckOK BGB, 55. Edition 2020, § 812 Rn. 93.
  11. Jauernig BGB, 17. Auflage 2018, § 814 Rn. 2.
  12. Jauernig BGB, 17. Auflage 2018, § 815 Rn. 1.
  13. Schulze BGB, 10. Auflage 2019, § 815 Rn. 2.
  14. Schulze BGB, 10. Auflage 2019, § 815 Rn. 3.
  15. BGH Az.: VII ZR 9/66.
  16. BeckOK BGB, 55. Edition 2020, § 817 Rn. 16.

Artikel verfasst von: 

Lucas Kleinschmitt

Lucas ist Volljurist und Gründer von Juratopia.

Nach Studium an der Bucerius Law School und Referendariat in Hamburg hat er einige Jahre als Anwalt in der Großkanzlei und als Syndikus in einem DAX-Konzern gearbeitet. Heute ist er General Counsel in einem IoT Startup.

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