Die allgemeine Leistungskondiktion (condictio indebiti) erlaubt die Rückforderung des durch Leistung eines anderen ohne rechtlichen Grund Erlangten. Sie ist in § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB geregelt.

Die condictio indebiti kommt als Grundfall der Leistungskondiktionen dann zur Anwendung, wenn der geleistete Gegenstand von Anfang an nicht geschuldet war (Abgrenzung zur condictio ob causam finitam, Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB) und zwischen den Parteien keine besondere Zweckabrede existiert (Abgrenzung zur condictio ob rem, Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB und zur condictio ob turpem causam, § 817 S. 1 BGB).

Im Folgenden zeige ich Dir zuerst ein Kurzschema für den ersten Überblick über die Prüfung der allgemeinen Leistungskondiktion. Darunter findest Du dann ein ausführliches Prüfungsschema condictio in debiti nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB mit Definitionen.

Zunächst ein Kurzschema zur Leistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB:

A. Etwas erlangt

B. Durch Leistung eines anderen

C. Ohne rechtlichen Grund

D. Keine Kondiktionssperre

I. § 814 BGB

II. § 817 S. 2 BGB

E. Umfang des Bereichungsanspruchs

Sodann ein ausführliches Schema zur allgemeinen Leistungskondiktion mit Definitionen und Klausurproblemen:

A. Etwas erlangt

Etwas“ kann jeder Gegenstand sein, der die Vermögenssituation des Empfängers verbessert.1 „Vermögen“ darf zu diesem Zweck weit ausgelegt werden: Eine wertmäßige Verbesserung ist nicht zwingend erforderlich.2 Auch bezieht sich „Gegenstand“ keineswegs auf § 90 BGB, sondern kann jede konkret bestimmbare Position meinen.3

  • Die offene Definition kann zu dem häufigen Fehler verleiten, dass die erlangte Position nicht rechtlich präzise erfasst wird. Die erlangte Position muss aber genau bezeichnet werden: Beispielsweise wird eine Sache nicht als solche erlangt, sondern der Besitz und/oder das Eigentum an der Sache.
  • Ob ein Schaden des Gläubigers entstanden ist oder der Verlust bereits anderweitig kompensiert wurde, spielt keine Rolle. Das Stichwort lautet: § 812 BGB ist Be- und nicht Entreicherungsrecht.4

B. Durch Leistung eines anderen

Leistung ist nach dem BGH die bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens.5 Bei der Anwendung dieser Definition ist Vorsicht geboten, da ihre Bedeutung im Einzelnen umstritten ist und sie für die Subsumtion nur bedingt genutzt werden kann. In Zweifelsfällen kann es helfen, das Merkmal „bewusst“ als „zurechenbar“ und das Merkmal „zweckgerichtet“ als „sich auf ein Kausalverhältnis beziehend“ zu verstehen.6

  • Der Zweck der Leistung bzw. das Kausalverhältnis, auf das sie sich bezieht, ist nach dem objektiven Empfängerhorizont zu bestimmen. 7
  • Irrelevant ist, ob die Leistung nur mittelbar oder unfreiwillig erfolgt oder ob eine Vermögensverschiebung stattfindet.8

C. Ohne rechtlichen Grund

Eine Leistung erfolgt ohne rechtlichen Grund, wenn kein der Leistung zugrunde liegendes wirksames Rechtsverhältnis existiert, kraft dessen der Empfänger die Leistung dauerhaft behalten darf.9

  • Umstritten ist, ob die Vernichtung des Rechtsgrundes mit Wirkung ex tunc (zB durch Anfechtung) ein Fall der condictio indebiti oder der condictio ob causam finitam ist. Der Streit wirkt sich auf das Ergebnis so gut wie nie aus, so dass ihm in der Regel wenig Raum gewidmet werden sollte. Unterschiedliche Ergebnisse könnten sich theoretisch mit Blick auf § 814 BGB ergeben, welcher auf die condictio ob causam finitam nicht anwendbar ist. Tatsächlich hat § 814 BGB in Anfechtungsfällen aber auch wenn man eine condictio indebiti annimmt kaum einen Anwendungsbereich (siehe dazu unten bei § 814 BGB).10

D. Keine Kondiktionssperre

I. § 814 BGB

Nach § 814 BGB kann das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete nicht zurückgefordert werden, wenn der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war, oder wenn die Leistung einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprach.

§ 814 BGB ist ein spezieller Ausschlusstatbestand, der nur für die condictio indebiti gilt (wobei die Norm aber teilweise analog auf andere Kondiktionsarten angewendet wird).11

Für Var. 1 (Kenntnis) ist positive Kenntnis des Leistenden von der Nichtschuld erforderlich. 12 Nicht ausreichend ist die bloße Kenntnis der Umstände, aus denen das Fehlen einer Verbindlichkeit folgt; für die Kenntnis der Rechtsfolge gilt aber eine „Parallelwertung der Laiensphäre“.13

  • Wenn vor erfolgter Anfechtung in Kenntnis der Anfechtbarkeit geleistet wurde, gilt Folgendes: Für den Anfechtenden wäre § 814 BGB zwar grundsätzlich anwendbar, wird aber in der Regel von § 144 BGB überlagert, weil die Leistung in Kenntnis der Anfechtbarkeit meist als Bestätigung anzusehen ist.14 Der Anfechtungsgegner darf sich hingegen bis zur Anfechtung als verpflichtet betrachten und muss deshalb nach hM § 814 BGB nicht gegen sich gelten lassen.15
  • Wichtige Rückausnahmen ergeben sich daraus, dass § 814 BGB eine Ausformung des Verbots widersprüchlichen Verhaltens ist. So ist die Rückforderung nicht ausgeschlossen, wenn der Empfänger nicht darauf vertrauen konnte, die Leistung behalten zu dürfen: Dies ist z.B. der Fall bei sog. Druckzahlungen (v.a. Zahlungen zur Abwendung der Zwangsvollstreckung) oder wenn der Leistende sich die Rückforderung vorbehalten hat.16

Var. 2, die Leistung in Entsprechung einer sittlichen Anstandspflicht, hat nur wenig praktischen Anwendungsbereich. Zu diskutieren ist § 814 Var. 2 BGB etwa bei der Gewährung von Unterhalt an Verschwägerte, denen kein Unterhalt geschuldet wird.17

II. § 817 S. 2 BGB

§ 817 S. 2 BGB gilt für alle Leistungskondiktionen und erfasst erst recht den Fall, dass nur der Leistende gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) oder die guten Sitten (§ 138 BGB) verstößt.18 Neben dem objektiven Verstoß muss sich der Leistende zumindest leichtfertig der Einsicht in den Gesetzes- oder Sittenverstoß verschlossen haben.19

E. Umfang des Bereicherungsanspruchs

Das Prüfungsschema zu Inhalt und Umfang des Bereicherungsanspruchs findest Du hier.

Schlusswort

Ich hoffe, Du fandest dieses Prüfungsschema zur allgemeinen Leistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB hilfreich. Wenn Du Verbesserungsvorschläge hast, lass es mich gerne wissen! Ich bin immer bemüht, die Inhalte auf Juratopia weiter zu verbessern.

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Quellennachweise:

  1. Vgl. NK-BGB, 10. Auflage 2019, § 812 Rn. 3.
  2. Jauernig BGB, 17. Auflage 2018, § 812 Rn. 8.
  3. MüKo BGB, 8. Auflage 2020, § 812 Rn. 4.
  4. Vgl. MüKo BGB, 8. Auflage 2020, § 812 Rn. 5.
  5. BGH Az.: III ZR 56/98.
  6. BeckOK BGB, 55. Edition 2020, § 812 Rn. 38.
  7. BeckOK BGB, 55. Edition 2020, § 812 Rn. 49 f.
  8. MüKo BGB, 8. Auflage 2020, § 812 Rn. 47.
  9. Jauernig BGB, 17. Auflage 2018, § 812 Rn. 12.
  10. Vgl. BeckOK BGB, 55. Edition 2020, § 812 Rn. 64.
  11. BeckOK BGB, 55. Edition 2020, § 812 Rn. 68.
  12. BGH Az.: IX ZR 100/13.
  13. BGH Az.: VIII ZR 274/02.
  14. MüKo BGB, 8. Auflage 2020, § 814 Rn. 20.
  15. Vgl. MüKo BGB, 8. Auflage 2020, § 814 Rn. 20.
  16. MüKo BGB, 8. Auflage 2020, § 814 Rn. 7 ff.
  17. bejaht von OLG München, Urteil vom 15. 7. 2004 – 29 U 2635/03.
  18. BGH Az.: VII ZR 9/66.
  19. BeckOK BGB, 55. Edition 2020, § 817 Rn. 16.

Artikel verfasst von: 

Lucas Kleinschmitt

Lucas ist Volljurist und Gründer von Juratopia.

Nach Studium an der Bucerius Law School und Referendariat in Hamburg hat er einige Jahre als Anwalt in der Großkanzlei und als Syndikus in einem DAX-Konzern gearbeitet. Heute ist er General Counsel in einem IoT Startup.

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