§ 816 Abs. 1 BGB regelt zwei spezielle Fälle der Nichtleistungskondiktion, in denen der Gläubiger einen eigentlich ihm zustehenden Gegenstand dadurch verliert, dass ein nichtberechtigter Dritter über den Gegenstand verfügt und diese Verfügung wirksam ist (das Schema zur allgemeinen Nichtleistungskondiktion findest Du hier).

§ 816 Absatz 1 Satz 1 BGB erfasst den Fall, dass die Verfügung entgeltlich erfolgt ist.

Im Folgenden zeige ich Dir zuerst ein Kurzschema für den ersten Überblick über die Prüfung des § 816 Abs. 1 S. 1 BGB. Darunter findest Du dann ein ausführliches Prüfungsschema zu § 816 Abs. 1 S. 1 BGB mit Definitionen und Klausurproblemen.

Zunächst ein Kurzschema zu § 816 Abs. 1 S. 1 BGB ohne Definitionen und Probleme:

I. Verfügung

II. Nichtberechtigter

III. Wirksamkeit gegenüber dem Berechtigten

IV. Entgeltlichkeit

V. Bestimmung des Herausgabegegenstands

Sodann ein ausführliches Schema zu den Fällen des § 816 Abs. 1 S. 1 BGB mit Definitionen und Klausurproblemen:

I. Verfügung

Für das Merkmal der Verfügung gilt der allgemeine Verfügungsbegriff: Verfügung ist damit jede rechtsgeschäftliche Übertragung, Veränderung, Belastung oder Aufhebung eines bestehenden Rechts.1

  • In aller Regel wird sich die Verfügung auf ein dingliches Recht an einer Sache beziehen, da Forderungen nur in Ausnahmefällen vom Nichtberechtigten erworben werden können. Die unberechtigte Einziehung einer Forderung ist hingegen ein Fall des Abs. 2 (zum Schema).
  • Eigentlich keine Verfügung ist der Einbau fremder Materialien (Klausurklassiker). Die herrschende Meinung wendet hier jedoch § 816 Abs. 1 BGB analog an, weil es wertungsmäßig keinen Unterschied machen kann, ob das Material zuvor übereignet wurde oder direkt eingebaut wird.2 Dies gilt konsequenterweise aber nur dann, wenn ein hypothetischer vorheriger gutgläubiger Erwerb möglich gewesen wäre, also insbesondere der Empfänger bzw. Auftraggeber nicht bösgläubig war.3 Entsprechendes gilt, wenn der Schuldner Sachen des Berechtigten für einen Dritten verarbeitet oder vermischt.4
  • Die analoge Anwendung auf die unbefugte Vermietung/Verpachtung fremder Sachen ist umstritten, wird von der h.M. aber abgelehnt, da diese Fälle bereits vom EBV und der allgemeinen Eingriffskondiktion hinreichend erfasst werden.5

II. Nichtberechtigter

Nichtberechtigter ist, wem die Verfügungsbefugnis über das betroffene Recht fehlt.6

  • Die Verfügungsbefugnis fällt nicht zwangsläufig mit der Rechtsinhaberschaft zusammen, sondern kann auch gem. § 185 Abs. 1 BGB z. B. einem Nichteigentümer übertragen werden.
  • Die nachträgliche Genehmigung gem. § 185 Abs. 2 BGB macht zwar die Verfügung wirksam, den Verfügenden aber nicht zum Berechtigten.7 Diese sog. rechtsfolgenbezogene Genehmigung kann der Berechtigte also erteilen, wenn ihm die Inanspruchnahme des Verfügenden aussichtsreich erscheint.

    Erteilt er sie nicht, bleibt die Verfügung unwirksam, sodass er in der Regel gegen den Empfänger als Bereicherungsschuldner vorgehen kann (Wahlrecht).8 Denn der Empfänger wird, da er den Gegenstand nicht wirksam erwerben konnte, aus Wertungsgründen auch nicht durch den Vorrang einer etwaigen Leistungsbeziehung zum Verfügenden geschützt.

III. Wirksamkeit gegenüber dem Berechtigten

Die Wirksamkeit gegenüber dem Berechtigten richtet sich nach den allgemeinen, in aller Regel sachenrechtlichen, Grundsätzen des Verfügungsgeschäfts.9 Es kommt also insbesondere darauf an, ob ausnahmsweise eine Gutglaubensvorschrift den Erwerb vom Nichtberechtigten ermöglicht.

IV. Entgeltlichkeit

Eine Verfügung erfolgt entgeltlich, wenn der Erwerber dafür eine Gegenleistung erbracht hat oder erbringen soll.10 Die Gegenleistung muss dabei weder gleichwertig noch synallagmatisch mit der Verfügung verknüpft sein.11

In Grenzfällen (z. B. bei der Bestellung von Sicherheiten) ist umstritten, nach welcher Betrachtungsweise die Entgeltlichkeit zu prüfen ist. Der BGH stellt auf die Sicht des Erwerbers ab12, während die Literatur überwiegend auf die Sicht beider Parteien oder eine objektive Betrachtungsweise abstellt.13

V. Bestimmung des Herausgabegegenstands

Auf Rechtsfolgenseite ist schließlich strittig, wie das „durch die Verfügung Erlangte“ zu bestimmen ist:

  • Nach h.M.14 , ist das Erlangte – ähnlich wie bei § 285 BGB – die vom Erwerber erhaltene Gegenleistung.
  • Die Gegenauffassung15 stellt darauf ab, dass unmittelbar durch die Verfügung nur die Befreiung von der Leistungspflicht zur Übertragung des Gegenstandes erlangt wird. Der Wert der Befreiung von dieser Verbindlichkeit entspricht dem Wert des geleisteten Gegenstands, sodass nach dieser Auffassung stets objektiver Wertersatz zu leisten ist.

Dieser Streit ist immer dann relevant, wenn die Gegenleistung nicht dem objektiven Wert entspricht. Wird z.B. eine Sache über Wert verkauft, erhält der Gläubiger nach der h.M. auch den vom Schuldner erzielten Gewinn; wird sie unter Wert verkauft, muss er auch den Verlust tragen.

Klausurhinweis

Die größte Gefahr bei § 816 Abs. 1 S. 1 BGB ist, ihn zu übersehen. Denke also stets an § 816 Abs. 1 S. 1 BGB als mögliche einschlägige Anspruchsgrundlage und prüfe ihn, soweit er einschlägig sein könnte, vor der allgemeinen Eingriffskondiktion.

Schlusswort

Ich hoffe, Du fandest dieses Prüfungsschema zu § 816 Abs. 1 BGB hilfreich. Wenn Du Verbesserungsvorschläge hast, lass es mich gerne wissen! Ich bin immer bemüht, die Inhalte auf Juratopia weiter zu verbessern.

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Quellennachweise:

  1. MüKo BGB, 8. Auflage 2020, § 816 Rn. 9.
  2. BeckOK BGB, 55. Edition 2020, § 816 Rn. 8.
  3. MüKo BGB, 8. Auflage 2020, § 816 Rn. 19.
  4. BeckOK BGB, 55. Edition 2020, § 816 Rn. 8.
  5. BGH Az.: XI ZR 156/05; MüKo BGB, 8. Auflage 2020, § 816 Rn. 13.
  6. BGH Az.: II ZR 74/01.
  7. Jauernig BGB, 17. Auflage 2018, § 816 Rn. 2.
  8. BGH Az.: VII ZR 232/69.
  9. BeckOK BGB, 55. Edition 2020, § 816 Rn. 11.
  10. MüKo BGB, 8. Auflage 2020, § 816 Rn. 66.
  11. BeckOK BGB, 55. Edition 2020, § 816 Rn. 9.
  12. BGH Az.: V ZR 13/53
  13. Vgl. MüKo BGB, 8. Auflage 2020, § 816 Rn. 66.
  14. BGH Az.: VII ZR 26/58; vgl. auch BeckOK BGB, 55. Edition 2020, § 816 Rn. 16.
  15. MüKo BGB, 8. Auflage 2020, § 816 Rn. 44 f.

Artikel verfasst von: 

Lucas Kleinschmitt

Lucas ist Volljurist und Gründer von Juratopia.

Nach Studium an der Bucerius Law School und Referendariat in Hamburg hat er einige Jahre als Anwalt in der Großkanzlei und als Syndikus in einem DAX-Konzern gearbeitet. Heute ist er General Counsel in einem IoT Startup.

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